Kein ganzes Leben lang (German Edition)
beobachtete Anna Christiano. Er war angespannt, aber amüsiert.
Christiano unterschätzte sie und lief in die Falle. Er war zu selbstsicher. Das war ihre Chance. Anna lehnte sich in dem Stuhl zurück. Als Christiano ihr eine Tasse Kaffee reichte, nahm sie sie entgegen.
„Danke. Sehr aufmerksam.“ Sie bedachte ihn mit einem reservierten Lächeln.
Er grinste und schüttelte unmerklich den Kopf.
Die Tür ging auf, und eine Frau Anfang vierzig trat herein. Sie trug ihre dunkelblonden Haare fransig kurz geschnitten. Es gab ihr etwas Heiteres. Sie begrüßte sie. Als Anna ihre Hand hielt und in ihre goldbraunen Augen blickte, war da etwas, das ihr Zuversicht gab.
„Sie sind Deutsche, hat mir Paul erzählt“, sagte die Frau zu ihr, „ich bin Bruna Pellegrini und freue mich, dass sie uns mit der Vermittlung zwischen den Kulturen helfen.“ Sie zwinkerte ihr zu.
„Ich freue mich auch.“ Anna war erstaunt. Sie meinte, was sie sagte. Zum ersten Mal ging es nicht nur darum, Christiano eins auszuwischen, sondern auch darum, dass sie wieder arbeiten würde.
Bruna Pellegrini stellte sich an das Ende des Konferenztisches.
„Ich werde nicht lange um den Brei herumreden. Wie Sie wissen, steht unser Unternehmen kurz vor dem Aus.“ Ihre Stimme war mit einem Schlag ernst. Ihre Stirn in Falten. „Es sind Tausende von Arbeitsplätzen bedroht. Sun Equity ist unsere letzte Hoffnung. Wenn wir die Finanzspritze nicht bekommen, platzen die Kredite, und wir sind insolvent. Die offiziellen Freigabefristen der Europäischen Kommission sind zu lang. Die Banken gedulden sich nicht so lange. Christiano hat uns jedoch mitgeteilt, dass es die Möglichkeit gibt, einen Antrag auf Sofortvollzug zu stellen. Besteht das Risiko, dass die Kommission uns nicht sofort vollziehen lässt?“
„Das Risiko besteht. Die Kommission ist sehr zurückhaltend, Anträgen auf Sofortvollzug stattzugeben“, erklärte Christiano.
Bruna legte ihre Stirn in Falten.
„Das stimmt zwar“, schaltete sich Anna ein, „jedoch handelt es sich bei den wenigen
Freigaben oft um Fälle drohender Insolvenz.“
Anna sah Christiano herausfordernd an. Ohne es zu merken, war sie wieder in ihre alte Rolle geschlüpft. Wie ein alter Mantel hatte sie an der Garderobe gehangen, lange nicht benutzt, aber dennoch funktionstüchtig. Die Ungläubigkeit stand Christiano für wenige Augenblicke ins Gesicht geschrieben. Dann hatte er sich schon wieder gefangen.
„Anna, Ihr Enthusiasmus in allen Ehren, aber in den letzten Jahren hat es nur wenige solcher Entscheidungen gegeben.“ Er sah sie leicht spöttisch an.
„Ich habe in der Vergangenheit an einigen Insolvenzfällen gearbeitet und bin mit der Kommissionspraxis vertraut“, entgegnete sie ungerührt.
„Christiano“, meldete sich Bruna bestimmt zu Wort, „wenn es eine Chance gibt, einen Sofortvollzug zu erzielen, möchte ich diese nutzen!“
„Eine Chance gibt es“, bestätigte er. Nur Anna bemerkte, dass seine Augenbraue zuckte.
„Die Parteien sind keine Wettbewerber, das ist wichtig“, fuhr er fort, „denn darum geht es der Kommission letztlich: den Zusammenschluss von Unternehmen zu überprüfen, der den Wettbewerb auf bestimmten Märkten einschränken könnte.“
Bruna hörte ihm konzentriert zu.
„Wie schnell können wir einen solchen Antrag stellen?“, wollte sie jetzt wissen.
„Mit dem Antrag sollten wir eine vollständige Anmeldung einreichen.“ Christiano wandte sich an Paul.
„Über die meisten erforderlichen Informationen von Bellezza verfügen wir bereits von zwei früheren Anmeldungen. Paul, wie schnell können Sie die nötigen Daten Ihres Mandanten zusammenstellen?“ Er würdigte Anna keines Blickes.
„Auch wir haben bereits in der Vergangenheit Anmeldungen bei der Kommission eingereicht, das heißt, wir sollten auch über die meisten Daten und Standardtexte verfügen. Ich werde die Anmeldungen an Anna schicken“, erwiderte Paul und notierte sich etwas auf seinem Schreibblock.
Christiano sah zu Anna und schmunzelte abschätzend. Anna verzog keine Miene und nickte nur.
„Mit Daten meinen Sie Umsatzzahlen, Tätigkeitsbeschreibungen und so weiter?“, hakte Bruna nach.
„Richtig“, bestätigte Christiano und fügte hinzu: „Es werden natürlich hier und da ein paar Zahlen fehlen, und auch die bereits vorhandenen Informationen müssen von den Parteien abgesegnet werden.“
„Ich möchte noch einmal auf das Risiko zurückkommen, dass die Kommission unserem Antrag nicht stattgibt.
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