Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Land für alte Männer

Kein Land für alte Männer

Titel: Kein Land für alte Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cormac McCarthy
Vom Netzwerk:
vieles nach, doch der Gedanke, der haften blieb, war, dass er irgendwann aufhören musste, sich auf sein Glück zu verlassen.
Er nahm die Schrotflinte aus der Tasche, legte sie aufs Bett und schaltete die Nachttischlampe an. Er ging zur Tür, löschte das Deckenlicht, ging zum Bett zurück, streckte sich darauf aus und starrte an die Decke. Er wusste, was auf ihn zukam. Er wusste nur nicht, wann. Er stand auf, ging ins Bad, zog an der Kette der Lampe über dem Waschbecken und betrachtete sich im Spiegel. Er nahm einen Waschlappen von dem gläsernen Handtuchhalter, drehte das heiße Wasser auf, befeuchtete den Waschlappen, wrang ihn aus und wischte sich damit Gesicht und Nacken. Er pinkelte, schaltete das Licht aus, ging zurück zum Bett und setzte sich darauf. Ihm war bereits der Gedanke gekommen, dass er wahrscheinlich nie mehr im Leben sicher sein würde, und er fragte sich, ob man sich daran gewöhnte. Und wenn ja?
Er leerte die Reisetasche, legte die Schrotflinte hinein, schloss den Reißverschluss und ging mit ihr und dem Aktenkoffer zum Empfang hinunter. Der Mexikaner, bei dem er sich angemeldet hatte, war von einem anderen Angestellten, dünn und grau, abgelöst worden. Dünnes weißes Hemd und schwarze Krawatte.
Er rauchte eine Zigarette, las das Ring Magazine und blickte, die Augen zum Schutz vor dem Zigarettenrauch zusammengekniffen, wenig begeistert zu Moss auf. Ja, Sir, sagte er.
Haben Sie gerade angefangen?
Ja, Sir. Bin bis zehn Uhr morgens da.
Moss legte einen Hundertdollarschein auf den Schalter. Der Mann legte die Zeitschrift hin.
Ich verlange nichts Illegales von Ihnen, sagte Moss.
Da bin ich aber gespannt, wie Sie das definieren, sagte der Mann.
Jemand sucht nach mir. Alles, was ich von Ihnen verlange, ist, dass Sie mich anrufen, wenn irgendwer sich anmeldet. Mit irgendwer meine ich jeden, der was zwischen den Beinen baumeln hat. Kriegen Sie das hin?
Der Mann nahm die Zigarette aus dem Mund, hielt sie über einen kleinen Glasaschenbecher, schnippte mit dem kleinen Finger die Asche davon ab und sah Moss ab. Ja, Sir, sagte er. Das krieg ich hin.
Moss nickte und ging wieder nach oben.
Das Telefon klingelte kein einziges Mal. Irgendetwas weckte ihn. Er setzte sich auf und schaute auf die Uhr auf dem Tisch. 4 Uhr 37. Er schwang die Beine über die Bettkante, griff nach seinen Stiefeln, zog sie an und lauschte.
Die Schrotflinte in der Hand, ging er zur Tür hinüber und hielt das Ohr daran. Er ging ins Badezimmer, zog den an Ringen über der Badewanne hängenden Duschvorhang aus Plastik zurück, drehte den Hahn auf und betätigte den Hebel für die Dusche. Dann zog er den Vorhang wieder um die Wanne, ging hinaus und schloss die Badezimmertür hinter sich.
Er lauschte abermals an der Tür. Dann zog er die Nylontasche unter dem Bett hervor und stellte sie auf den Stuhl in der Ecke. Er ging zum Nachtschränkchen, schaltete die Lampe dort an und versuchte nachzudenken. Ihm fiel ein, dass das Telefon klingeln könnte, und er nahm den Hörer ab und legte ihn auf den Tisch. Er zog die Bettdecke zurück und zerknautschte die Kissen auf dem Bett. Er schaute auf die Uhr. 4 Uhr 43. Er betrachtete den auf dem Tisch liegenden Telefonhörer. Er hob ihn auf, zog das Kabel heraus und legte ihn wieder auf die Gabel. Dann ging er zur Tür hinüber und blieb, den Daumen auf dem Hahn der Schrotflinte, davor stehen. Er legte sich auf den Bauch und hielt das Ohr an den Spalt zwischen Tür und Fußboden. Ein kühler Windzug. Als wäre irgendwo eine Tür aufgegangen. Was hast du getan. Was hast du zu tun versäumt.
Er ging auf die andere Seite des Bettes, ließ sich auf den Boden nieder und schob sich unter das Bett, wo er, die Schrotflinte auf die Tür gerichtet, auf dem Bauch liegen blieb. Gerade Platz genug unter den Holzlatten. Herzschlag gegen den staubigen Teppich. Er wartete. Zwei dunkle Streifen schnitten den Lichtspalt unter der Tür und verharrten dort. Als Nächstes hörte er den Schlüssel im Schloss. Ganz leise. Dann ging die Tür auf. Er konnte in den Flur sehen. Es war niemand da. Er wartete. Er versuchte, nicht einmal zu blinzeln, tat es aber doch. Dann stand auf einmal ein Paar teurer Straußenlederstiefel in der Tür. Gebügelte Jeans. Der Mann stand da. Dann kam er herein. Dann ging er langsam zum Bad hinüber. In diesem Augenblick wurde Moss klar, dass der Mann nicht die Badezimmertür öffnen würde. Er würde sich umdrehen. Und wenn er das tat, würde es zu spät sein. Zu spät, um noch irgendwelche Fehler

Weitere Kostenlose Bücher