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Kein Land für alte Männer

Kein Land für alte Männer

Titel: Kein Land für alte Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cormac McCarthy
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oder überhaupt etwas zu machen, und dann würde er sterben. Mach schon, sagte er sich. Mach es einfach.
Dreh dich nicht um, sagte er. Wenn du dich umdrehst, knall ich dich ab.
Der Mann rührte sich nicht. Die Schrotflinte in den Händen, robbte Moss vorwärts. Er konnte den Mann nur bis zur Taille sehen und wusste nicht, was für eine Waffe er trug. Lass die Knarre fallen, sagte er. Sofort.
Eine Schrotflinte fiel klappernd auf den Fußboden. Moss hievte sich hoch. Hände hoch, sagte er. Weg von der Tür.
Der Mann machte zwei Schritte zurück und blieb stehen, die Hände in Schulterhöhe. Moss kam um das Fußende des Bettes herum. Der andere stand etwa drei Meter entfernt. Das ganze Zimmer pulsierte langsam. In der Luft lag ein merkwürdiger Geruch. Wie von einem fremdartigen Duftwasser. Mit einer medizinischen Note.
Alles summte. Moss hielt die Schrotflinte mit gespanntem Hahn im Hüftanschlag. Nichts, was passieren konnte, hätte ihn überrascht. Er kam sich vor, als wäre er gewichtslos. Als schwebte er. Der Mann sah ihn nicht einmal an. Er wirkte merkwürdig unbekümmert. Als wäre das alles Teil seiner Alltagsroutine.
Zurück. Noch ein Stück.
Der Mann gehorchte. Moss hob die Schrotflinte vom Boden auf und warf sie aufs Bett. Er schaltete das Deckenlicht an und schloss die Tür. Schau hierher, sagte er.
Der Mann drehte den Kopf und sah Moss an. Blaue Augen. Gelassen. Dunkles Haar. Er hatte etwas leicht Exotisches an sich. Das außerhalb von Moss’ Erfahrung lag.
Was willst du?
Er gab keine Antwort.
Moss ging durchs Zimmer, packte mit einer Hand den Bettpfosten am Fußende und schob das Bett zur Seite. Der Aktenkoffer stand dort im Staub. Er nahm ihn in die Hand. Der Mann schien es nicht einmal zu bemerken. Er schien mit den Gedanken anderswo zu sein.
Moss nahm die Nylontasche vom Stuhl, hängte sie sich über die Schulter, hob die Schrotflinte mit dem riesigen, dosenartigen Schalldämpfer vom Bett auf, klemmte sie sich unter den Arm und griff nach dem kurzzeitig abgestellten Aktenkoffer. Gehen wir, sagte er. Der Mann ließ die Hände sinken und trat auf den Flur hinaus.
Die kleine Box, die den Empfänger enthielt, stand direkt vor der Tür auf dem Boden. Moss ließ sie stehen. Er hatte das Gefühl, bereits mehr Risiken eingegangen zu sein, als ihm guttat. Die Schrotflinte mit einer Hand wie eine Pistole auf den Gürtel des Mannes gerichtet, schob er sich rückwärts den Flur entlang. Er wollte ihm befehlen, die Hände wieder hochzunehmen, aber irgendetwas sagte ihm, dass es eigentlich keine Rolle spielte, wo der Mann die Hände hatte. Die Zimmertür stand immer noch offen, immer noch lief die Dusche.
Wenn ich oben an der Treppe dein Gesicht sehe, schieße ich.
Der Mann gab keine Antwort. Nach allem, was Moss wusste, hätte er stumm sein können.
Genau da, sagte Moss. Keinen Schritt weiter.
Der Mann blieb stehen. Moss ging rückwärts bis zur Treppe, warf einen letzten Blick auf ihn, wie er da im mattgelben Licht der Wandleuchte stand, drehte sich dann um und lief, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter. Er wusste nicht, wohin er sollte. So weit hatte er nicht vorausgedacht.
In der Eingangshalle schaute das Gesicht des Nachtportiers hinter dem Tresen hervor. Moss blieb nicht stehen. Er stürmte zur Eingangstür hinaus und die Treppe hinunter. Bis er die Straße überquert hatte, stand Chigurh schon auf dem Hotelbalkon über ihm. Moss spürte, wie etwas an der Tasche zupfte, die er über der Schulter trug. Der Pistolenschuss war nur ein gedämpfter Knall, flach und dünn in der dunklen Stille der Stadt. Als er sich umdrehte, sah er das Mündungsfeuer des zweiten Schusses schwach, aber wahrnehmbar unter dem rosa Gleißen der fünf Meter hohen Leuchtreklame des Hotels. Er spürte nichts. Die Kugel riss an seinem Hemd, Blut begann ihm den Oberarm hinabzurinnen, und er war bereits in Laufschritt gefallen. Beim nächsten Schuss verspürte er einen stechenden Schmerz in der Seite. Er fiel hin, rappelte sich wieder hoch und ließ Chigurhs Schrotflinte auf der Straße liegen. Verdammt, sagte er. Was für ein Schütze.
Humpelnd und mit schmerzverzerrtem Gesicht eilte er den Bürgersteig entlang am Aztec Theatre vorbei. Als er das kleine runde Kassenhäuschen passierte, zersprang sämtliches Glas darin. Er hatte den Schuss nicht einmal gehört. Er wirbelte mit der Schrotflinte herum, spannte mit dem Daumen den Hahn und feuerte. Die Schrotkugeln prasselten auf die Balustrade im ersten Stock und ließen

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