Kein Mann für eine Nacht: Roman (German Edition)
dauernd irgendwelchen Illusionen hingegeben hatte.
Sie sträubte sich lange dagegen, den Umschlag zu öffnen und das Manuskript herauszunehmen. Irgendwann fasste sie sich ein Herz, machte Licht und begann zu lesen.
Jake dribbelte zu dem Basketballkorb, der neben der Garage hing, und zielte. Dummerweise rutschten die Ledersohlen seiner Stiefel auf dem Betonboden, und der Ball traf den Rand. Einen Moment lang überlegte er, ob er drinnen seine Basketballschuhe anziehen sollte, verwarf den Gedanken aber hastig wieder. Fleur bei der Lektüre des Manuskriptes zu sehen hätte ihm zu viel abverlangt.
Er stopfte sich den Basketball unter den Arm und schlenderte zu der aufgemauerten Steinwand hinter der Garage, die das in den Hügel gebettete Grundstück befestigte. Er wünschte, er hätte ein Sixpack mexikanisches Bier mitgenommen, mochte aber nicht zurück ins Haus, um sich welches zu holen. Er würde bis auf Weiteres einen Riesenbogen um sie machen, denn ein zweites Mal könnte er ihre Enttäuschung nicht verkraften.
Er lehnte sich gegen die rauen Steine. Hätte er sich nichts anderes einfallen lassen können, um das zwischen ihnen zu beenden? Irgendeine elegante Möglichkeit, dass er nicht tief in ihrer Achtung sank? Dabei bohrte sich der Schmerz wie ein Messer in seinen Kopf, unerträglich, und er schloss die Augen. Stellte sich eine jubelnde Menschenmenge vor, während er auf dem Center Court im Philadelphia Spectrum stand, in einem Seventy-Sixers-Trikot mit der Nummer sechs auf der Brust. Doc.
Doc … Doc … Er versuchte sich die Bilder zu vergegenwärtigen, doch es klappte nicht.
Er stieß sich von den Steinen ab und trug den Ball wieder um die Garage zum Korb. Er begann zu dribbeln. Er war Julius Erving, zwar eine Spur behäbiger als sonst, aber trotzdem ein Gigant, er konnte fliegen … Doc.
Statt des Jubels hörte er etwas anderes, eine Musik, die in seinem Kopf spielte.
Im Haus wuchs der Stapel Manuskriptseiten neben Fleurs Füßen von Stunde zu Stunde. Ihre Haare hatten sich aus den Kämmen gelöst, ihr Rücken schmerzte ob der verkrampften Sitzhaltung. Als sie die letzte Seite las, vermochte sie die Tränen nicht mehr zurückzuhalten.
Wenn ich an Vietnam denke, denke ich an die Musik, die ständig spielte. Otis Redding … die Stones … Wilson Pickett. Und viel zu oft an Creedence Clearwater und ihr Bad Moon Rising über diesem gottgestraften Land. Der Song spielte auch, als sie mich in Saigon in die Maschine packten, die mich nach Hause flog. Und als ich meine Lungen zum letzten Mal mit der monsunfeuchten, drogenschweren Luft füllte, begriff ich, dass ich vor den Gräueltaten des Krieges kapituliert hatte. Noch heute, fünfzehn Jahre später, lassen sie mich nicht los.
26
Jake saß im Schatten der Garage, als Fleur ihn fand. Er lehnte vor der Steinmauer, einen Basketball im Schoß. Er sah aus, als wäre er durch die Hölle gegangen, und so fühlte er sich auch. Sie kniete sich neben ihn. Er musterte sie distanziert, sein Blick eine stumme Warnung: Ich habe kein Mitleid verdient!
»Du hast mir einen gewaltigen Schrecken eingejagt«, hob sie an. »Mit deinen verdammten Metaphern und den missverständlichen Andeutungen. Das ganze Gerede von Massakern und dem kleinen Mädchen in dem Hemd mit den Entchen drauf … Im Geiste sah ich dich, wie du ein ganzes Dorf mit unschuldigen Zivilisten dem Erdboden gleichmachst. Ich hatte entsetzliche Angst … Angst, dass ich mich wahnsinnig in dir getäuscht hätte. Ich dachte, du hättest dich aktiv an den Gräueltaten beteiligt.«
»Wenn man es genau nimmt, war es auch so. Dieser ganze verdammte Krieg war ein einziges Massaker.«
»Im übertragenen Sinne mag das stimmen, aber ich halte es da mehr mit den Fakten.«
»Dann beruhigt es dich sicher, dass du jetzt die Wahrheit kennst«, sagte er bitter. »Im Übrigen endete John Waynes Militärkarriere in der Psychiatrie, wo sie ihn mit Medikamenten vollpumpten, weil er mit der Gluthitze nicht klarkam.«
Da war es. Das dunkle Geheimnis, das ihn verfolgte. Der Grund, warum er sich hinter einer unüberwindlichen Mauer verschanzte. Er hatte Angst vor einer öffentlichen Enthüllung, dass er damals psychisch zusammengebrochen war.
»Du bist nicht John Wayne. Du warst einundzwanzig Jahre alt, ein junger, ungefestigter Typ aus Cleveland. Du hattest kaum Ahnung vom Leben und musstest diesen Horror mit ansehen.«
»Ich bin ausgerastet, Flower. Begreifst du das nicht? Ich hatte Weinkrämpfe, litt unter
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