Kein Mann für eine Nacht: Roman (German Edition)
Deckenstrahler waren auf die hier ausgestellten Oldtimer gerichtet. Ihr glänzender Lack erinnerte Fleur an funkelnde Edelsteine – Rubine, Smaragde, Amethyste und Saphire. Einige dieser Automobile standen auf dem kühlen Marmor, die meisten jedoch auf erhöhten Plattformen, als schwebten sie in der Luft. Wie ein bunt schimmerndes Feuerwerk bei Nacht.
Neben jedem Wagen war eine kleine Metallplatte angebracht. Die Gummisohlen ihrer Sportschuhe quietschten auf dem Marmor, während sie die einzelnen Fahrzeuge inspizierte. Isotta-Fraschini Type 8, 1932. Stutz Bearcat, 1917. Rolls-Royce Phantom I, 1925. Bugatti Brescia, 1921. Bugatti Type 13, 1912. Bugatti Type 59, 1935. Bugatti Type 35.
Sämtliche Oldtimer in dem kürzeren Flügel des L-förmigen Raums trugen das charakteristische rote Bugatti-Emblem. Mitten im Raum befand sich eine leere Plattform, die größer war als die anderen. Fleur betrachtete die hell angestrahlte silberne Platte, die am Rand angebracht war.
BUGATTI TYPE 41 ROYALE.
»Weiß er, dass du hier bist?«
Erschrocken wirbelte sie herum. Vor ihr stand ein bildhübscher Junge, mit Haaren wie fein gesponnene, flachsfarbene Seide und weichen, sensiblen Zügen. Er trug einen ausgebleichten grünen Pullover, zerknitterte Chinos, die in der Taille von einem überbreiten Cowboygürtel gehalten wurden. Er war wesentlich kleiner als sie und zierlich gebaut wie eine Frau, die Nägel seiner langen, schlanken Finger hoffnungslos angeknabbert. Er hatte eine schmale Kinnpartie, helle Brauen und Augen von dem strahlenden Blau frischer Frühlingshyazinthen.
Er war Belinda wie aus dem Gesicht geschnitten. Unvermittelt kam Fleur die Galle hoch.
Wie er so dastand und nervös an seinem Daumennagel herumkaute, sah er jünger aus als fünfzehn. »Ich bin Michel. Entschuldige, aber ich wollte dir nicht nachspionieren.« Er schenkte ihr ein süßes, melancholisches Lächeln, das ihn unversehens älter wirken ließ. »Du bist lebensmüde, weißt du das?«
»Ich mag es nicht, wenn man mich heimlich beobachtet.«
»Ich hab dich nicht wirklich beobachtet, aber das ist ja jetzt auch unwichtig. Wir dürfen uns nämlich nicht hier aufhalten. Wenn er dahinterkommt, ist er stocksauer.«
Sein Englisch klang fast so amerikanisch wie ihres, weshalb Fleur ihn noch mehr verabscheute. »Ich hab keine Angst vor ihm«, entgegnete sie aufsässig.
»Du kennst ihn eben noch nicht.«
»Mann, hab ich ein Glück«, konterte sie schnippisch.
»Das kannst du laut sagen.« Er schlenderte zur Tür und schaltete die Deckenbeleuchtung aus. »Du gehst jetzt besser. Ich muss noch abschließen, sonst merkt er, dass wir hier drin waren.«
Sie hasste ihn abgrundtief, weil er so hübsch und so zierlich war. Als könnte ein Luftzug ihn umpusten. »Ich wette, du machst alles, was er dir sagt. Wie ein verschrecktes Kaninchen.«
Er zuckte wegwerfend mit den Schultern.
Sie konnte sein Gesicht keine Sekunde länger ertragen. Sie stürzte durch die Tür und lief in den Garten. Die ganzen Jahre hatte sie hart daran gearbeitet, die Liebe ihres Vaters zu gewinnen, indem sie die Mutigste, die Schnellste, die Stärkste war. Und jetzt das. Es war zum Heulen.
Michel blickte seiner Schwester hinterher. Er durfte nicht darauf hoffen, dass sie Freunde werden könnten, auch wenn er sich das sehnsüchtig wünschte. Er wünschte sich jemanden, der die schmerzvolle Leere ausfüllte, die der Tod seiner geliebten Großmutter hinterlassen hatte. Solange hatte ihm einmal anvertraut, dass er ihre Chance sei, vergangene Fehler wiedergutzumachen.
Seine Großmutter hatte seinerzeit mitbekommen, wie seine Mutter Alexi die Nachricht von der zweiten Schwangerschaft entgegengeschleudert hatte. Belinda hatte seinem Vater klipp und klar gesagt, dass sie ihm, Michel, nicht mehr Zuwendung geben würde als Alexi dem Baby, das er kaltherzig in den Konvent abgeschoben hatte. Seine Großmutter erzählte, ihr Sohn habe seine Frau daraufhin ausgelacht und ihr erklärt, sie könne gar nicht anders, als ihren kleinen Sohn zu lieben. Dass sie über dieses Baby das andere vergessen würde.
Sein Vater hatte sich mächtig getäuscht. Solange hatte Michel in den Schlaf gewiegt und mit ihm gespielt, ihn getröstet, wenn er Kummer hatte. Eigentlich sollte er froh sein, dass seine Großmutter von ihren Leiden erlöst war, seufzte der Junge, aber er wollte sie zurückhaben. Er liebte ihren lippenstiftbemalten Mund, den leichten Gauloise-Geruch an ihr, wie sie sein Haar streichelte und ihm die
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