Kein Mann für jeden Tag: Roman (German Edition)
Nick.
»Ich bitte auch.«
Mum öffnet den Kühlschrank und bläst den Rauch ihrer Zigarette hinein. Ich mag es nicht, dass sie raucht. Meine Schuluniform riecht danach, so wie das ganze Haus.
»Wir haben keinen Käse mehr. Ach ja, und Schinken auch nicht.« Sie nimmt ein paar Gläser in die Hand und liest die Etiketten. »Du kannst Honig haben, okay?«
»Ich hasse Honig«, widerspricht Nicholas.
»Honig ist in Ordnung«, sage ich und starre meinen Bruder an.
Mum streicht Honig auf die Brötchen, klappt die beiden Hälften zusammen und steckt sie in einen Plastikbeutel.
Früher hat sie uns Brote mit Thunfisch und Gurken gemacht und sie in Viertel geschnitten.
Jetzt legt sie noch einen Apfel und einen Nachtischkeks in jede Frühstücksdose und verschließt sie.
Schließlich schaut sie auf die Uhr und sagt, wenn sie uns mit dem Wagen zum Schulbus fahren würde, hätten wir gerade noch Zeit für das Frühstück. Früher sind wir immer gemeinsam gelaufen und haben Megan mitgenommen. Könnte meine Schwester uns jetzt sehen, wäre sie bestimmt nicht glücklich, weil wir nie mehr singen oder überhaupt auch nur Spaß haben.
Ich schütte ein paar Frühstücksflocken in eine Schale, als Mum mir durch die Haare fährt. Die Berührung macht mich froh.
»Was habt ihr heute für Fächer, Nick?«
»Mathe. Ziemlich langweilig.« Er isst ein paar Löffel Flocken, dann trägt er seine Schale zur Spüle.
»Und du, Gilly? Mrs Curtis sagt, dass du ganz gut bist.«
Ich kann die Anstrengung in Mums Stimme hören. Mit uns zu reden macht ihr mehr Mühe, als in hohen Absätzen einen Berg zu besteigen.
Ich verbringe viel Zeit damit, Tagebuch zu schreiben. Mrs Curtis hat gesagt, dass Schreiben eine gute Methode ist, um mit dem Tod fertig zu werden, und dass ihr Mann, wenn sievor irgendetwas Angst hat, oft überall im Haus vollgekritzelte Zettel findet.
Manchmal schreibe ich nur, dass ich Angst habe, weil Mum den ganzen Tag im Bett liegt. Ich schreibe, dass ich glaube, dass sie Nick und mich nicht mehr ertragen kann und sie Megan bestimmt viel mehr geliebt hat als uns. Außerdem mache ich mir große Sorgen um Mums Raucherei. Auf dem Zigarettenpäckchen steht, dass Rauchen tödlich sein kann. Ich stelle mir vor, dass Mum eines Tages an Lungenkrebs sterben wird, weil sie die Warnungen auf dem Päckchen nicht gelesen hat. Mum raucht ungefähr vierzig Zigaretten am Tag. Wird sie also bald tot sein, so wie Megan? Und dann? Dad kann sich ganz bestimmt nicht um uns kümmern. Manchmal überlege ich, Mum zu fragen, ob ich für sie putzen und einkaufen gehen soll. Ich mache mir Gedanken, weil nichts zu essen im Haus ist. Aber das kann ich ihr unmöglich sagen. Trotzdem hilft es mir, dass ich meine Sorgen wenigstens aufschreiben kann. Ich sitze in meinem Bett und schreibe, während Nick seine Comics liest. Früher hat uns Dad oft vorgelesen, doch jetzt sagt er, wir seien zu alt dazu. Wenn Dad hier in London arbeitet und nach Hause kommt, ist er immer sehr müde. Er hat große dunkle Ringe unter den Augen. Dann steht er jeden Tag um sechs Uhr auf und ist bis spätabends unterwegs. Wenn er heimkommt, geht er als Erstes zum Schrank und schenkt sich einen Gin ein.
Dass ich schreibe, hilft mir auch nachts. Täte ich es nicht, würde ich zu Bett gehen und wäre so traurig, dass ich nicht einschlafen könnte.
28
Es ist Freitagabend. Die Olympioniken waren bei einem frühen Abendtraining. Ich erkläre Gloria, dass ich möglicherweise morgen noch einmal schwimmen gehen werde, und überlege, mir vielleicht sogar ein paar Kraulstunden zu gönnen. Ich finde, es ist höchste Zeit, mich nicht mehr von munteren Rentnern überholen zu lassen.
»Anwesende natürlich ausgenommen«, betone ich, während ich in der Umkleidekabine mein Haar trockne.
»Logisch«, erwidert Gloria und fragt mich, ob ich Lust habe, mit ihr zu Abend zu essen.
Sie hat vor, ihre spezielle Gemüsepfanne zu machen.
Statt ihre Frage zu beantworten, frage ich lediglich, ob sie dazu lieber einen Roten oder einen Weißen trinken möchte.
*
Beim Kräuterhacken erzählt Gloria detailliert von ihrer vergangenen Woche. Ich bin wirklich froh, den Abend bei ihr zu verbringen, denn ich brauche dringend Ablenkung. Den ganzen Tag schon konnte ich nicht klar denken. Ich saß untätig im Laden und träumte von Jack, als wäre ich ein liebeskrankes Hündchen.
Ich lächle vor mich hin, als mir auffällt, wie strategisch günstig unser Date geplant war: An einem Donnerstag auszugehen bedeutet,
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