Kein Opfer ist vergessen
»Und das waren wir auch nicht.«
»Die Analyse wird auf mich verweisen«, sagte ich.
»Ich weiß. Rodriguez hat es mir erklärt.«
»Glaubst du ihm?«
Keine Antwort.
»Würde ich so dämlich sein und DNA -Spuren hinterlassen, Jake? Komme ich dir dermaßen bescheuert vor?«
»Eine Frau wird vergewaltigt. Bei der DNA -Analyse wird man dein Sperma finden. Und du sagst, das sei der Beweis, dass du es nicht getan hast?«
»Irgendwie schon, ja.«
»Das ist wirklich einsame Klasse.« Havens schüttelte den Kopf. Eine Zeit lang saßen wir schweigend da. Ich spürte nichts als Scham und fühlte mich gedemütigt.
»Ich hatte nur noch Sarah im Kopf«, sagte ich. »Nein, euch beide.«
»Du hast uns verfolgt, Joyce.«
»Aber ich habe sie nicht angerührt.«
»Herrgott, wie oft willst du das noch sagen?«
»Was möchtest du denn von mir hören?« Ich dachte, dass er mir letzten Endes entweder helfen würde oder nicht, und ich herausfinden musste, wofür er sich entschied. »Hat Rodriguez die Sache mit der Zitronensäure erwähnt?«
»Ja.«
»Was sagst du dazu?«
»Dass wir sie am Arsch haben.«
»Genauso ist es. Deshalb haben sie mir eine Falle gestellt und Sarah vergewaltigt. Sie haben Angst bekommen.«
»Angst dürften sie von Anfang an gehabt haben.«
»Vielleicht, aber langsam werden sie panisch. Hast du Kelly schon kennengelernt?«
»Wir sind uns kurz begegnet. Wenn ich das richtig verstehe, soll er uns schützen oder so ähnlich.«
»Nur dass uns niemand schützen kann. Die anderen wissen, dass wir ihnen auf der Spur sind und werden sich gegen uns wehren. Uns festnehmen, uns aufs Kreuz legen oder uns umbringen. Klar können wir für eine Weile verschwinden. Aber das heißt nur, dass sie auf uns warten werden. Und wir können nicht für den Rest unseres Lebens im Willows wohnen.«
Havens schien sich über meine Entschlossenheit zu wundern, aber das, was ich gesagt hatte, leuchtete ihm offenbar ein.
»Hast du einen Plan?«
»Vertraust du mir?«
»Nein, aber ich glaube dir. Zumindest was Sarah betrifft.«
Das war zwar weniger, als ich erhofft hatte, aber besser als nichts. »Inzwischen ahne ich, wie das Trefferkommando gearbeitet hat und wer die Fäden noch immer in der Hand hält. Ich glaube, ich weiß auch, was sie verbergen möchten.«
»Und weiter?«
»Wir setzen uns in Bewegung und kriegen sie ran, bevor sie uns erwischen. Schon wegen Sarah.« Ich zeigte ihm die Unterlagen aus dem Umschlag, den Sarah mir zugesteckt hatte.
Havens überflog die Seiten. »Willst du diese Frau aufspüren? Sally Finn?«
»Noch nicht.«
»Da komme ich nicht mehr mit.«
»Wir beginnen mit dem ersten Glied in der Nahrungskette.«
»Und wer soll das sein?«
»Lass uns losfahren. Ich erkläre es dir auf dem Weg.«
ZWEIUNDVIERZIG
»Z?« Ungläubig sah Havens mich von der Seite an. Wir saßen in seinem Wagen und fuhren auf dem Lake Shore Drive in nördlicher Richtung auf Evanston zu.
»Sie ist das erste Glied in der Kette.«
»Wie kommst du darauf?«
»Mein Bruder ist an einem 4. Juli ertrunken. Jedes Jahr besuche ich an diesem Tag sein Grab in Evanston. Immer morgens, wenn der Friedhof gerade aufgeschlossen worden ist.«
»Dann warst du vor drei Tagen da.«
»Ja. Und an diesem Morgen habe ich dort jemanden gesehen. Komplett in Schwarz gekleidet.«
»Z?«
»Sie stand an einem Grab. Ich wollte mich nicht zu nahe an sie heranwagen, aber es sah aus, als würde sie weinen. Als sie weg war, habe ich mir den Namen auf dem Grabstein notiert.« Ich zog den Zettel aus der Tasche und hielt ihn am Armaturenbrett fest. »Rosina Rolland. Geboren am 3. Oktober 1972. Gestorben am 4. Juli 1992.«
»Und was bedeutet das?«
»Das habe ich mich auch gefragt. Nach meinem Besuch auf dem Friedhof habe ich den Namen Rolland über Nexis gesucht. Rosina Rolland kam bei einem Autounfall ums Leben. Es ist nachts passiert, auf der Zufahrtsstraße zu den Edens.«
»Lass mich raten. Sie war betrunken.«
»Wohl kaum. Rosina war Kellnerin in einem I-Hop an einer Schnellstraße und kam von ihrer Nachtschicht. Als die Sanitäter sie aus ihrem Wagen holten, hatte sie noch ihre Uniform an.«
»Ja und?«
»Warum trauert Z um eine junge Frau aus der South Side?«
»Vielleicht war sie mit ihr verwandt.«
»Rosina Rolland war schwarz.«
»Oh.«
»Wusstest du, dass Z einmal aus gesundheitlichen Gründen beurlaubt war? Über ein Jahr lang, vom Juli ’92 bis August ’93. Den Grund habe ich nicht herausbekommen.«
Havens verließ den
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