Kein Schlaf für Commissario Luciani
ein, wo ein ziemliches Chaos herrschte. Sie konnten in Erfahrung bringen, dass man eine Leiche mit den Papieren Maurizio Merlis gefunden hatte, in einem Wald, an der Straße zum Olivetta-Pass. Sie fragten, wie man da hin komme, aber ein unhöflicher Inspektor forderte sie auf, in Nizza auf das Eintreffen der Leiche zu warten. »Es werden gerade die Spuren gesichert, da ist es nicht angebracht, dass Sie die Arbeiten behindern.«
»Perfekt!«
»Perfekt einen Scheißdreck! Die rechte Schläfe, hatte ich gesagt. Hundert Mal habe ich dir das gesagt!«
Belmondo biss sich auf die Lippe. »Ist das meine Schuld, wenn er sich in die andere Richtung dreht? Ich konnte ja schlecht auf den Baum klettern.«
»Natürlich ist es deine Schuld, weil du das Motorrad falsch platziert hast. Du hättest es auf die andere Seite legen müssen, so. Und dann hätte er sich so herum gedreht.« Er führte es vor.
Der andere schnaubte. »Mann, das nervt. An allem hast du etwas auszusetzen.«
»Ja, an so einem Bockmist habe ich etwas auszusetzen. Das war doch kein Linkshänder, kannst du mir mal erklären, warum er sich mit links hätte erschießen sollen?«
Belmondo kratzte sich am Kopf und spürte den Stoff der Krawatte an seiner Hand.
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»Klar kann ich das erklären«, sagte er, während er die Krawatte abwickelte und mit den Schuhen im Laub herumfuhr. »Das erkläre ich dir sofort.« Er fand den Stein, wog ihn ab, um sicherzugehen, dass er schwer genug war, und ließ ihn dann wie einen Fäustel auf die Finger von Merlis rechter Hand krachen. Schließlich schleuderte er ihn weg.
»Er hat die Linke genommen«, schnaubte er, »weil er sich bei dem Unfall zwei … nein, vielleicht drei … Finger der Hand gebrochen hatte, mit der er sich so gerne einen Schuss setzte.«
Gabin wollte schon wieder losbrüllen. Man veränderte nicht einfach so leichtfertig einen Tatort. Man musste das Hirn benutzen.
Allerdings musste er zugeben, dass der Junge sich ganz gut aus der Affäre gezogen hatte. »Jedenfalls haben wir auch noch das Problem der Flugbahn«, sagte er.
»Hä?«
»Die Flugbahn des Projektils. Die verläuft in einem zu schrägen Winkel nach unten. Du hättest mit dem Schuss warten müssen, bis er sich ganz aufgerichtet hat.«
»Nein, du, ich habe mich runtergebeugt. Ich habe praktisch waagrecht geschossen.«
Der andere schüttelte den Kopf. »Wenn du waagrecht geschossen hättest, dann hätte die Kugel auf dieser Höhe in den Baum einschlagen müssen. Schau dir doch mal das Loch an! Das ist fast an der Wurzel. Außerdem braucht man sich nur Einschuss- und Austrittsverletzung anzusehen.«
»Hör mal, wollen wir hier jetzt zwei Stunden rumstehen und Haarspaltereien betreiben, oder wollen wir den Abflug machen, bevor jemand auftaucht?«
Gabin sah ein, dass er Recht hatte. Das war kein Bilderbuch-Selbstmord, aber für einen wie Merli würden sich die französischen Kriminaltechniker sicher kein Bein ausreißen. Und in Italien würden die Jungs, wenn etwas schieflaufen
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sollte, einen ihrer ganz speziellen Sachverständigen zwischenschalten.
»Okay. Jetzt lass mich das machen.« Er zog schnell die Handschuhe an, nahm die Pistole und presste den Griff zuerst gegen Merlis Daumen, dann gegen die anderen Finger, wobei er aufpasste, dass er sich nicht mit Blut beschmierte. Danach ließ er die Waffe neben die linke Hand der Leiche fallen.
Belmondo hatte sich eine Zigarette angezündet.
»Pass auf, dass du die hier nicht liegenlässt. Hast du die von vorhin eingesammelt?«
»Natürlich. Hältst du mich für einen Anfänger?«
»Nein. Aber ich mag nun einmal saubere Arbeit.«
»Ist doch alles glattgegangen. Niemand hat uns gesehen.«
Sie hörten in der Ferne einen Traktor und überlegten, wie weit er noch von ihrem Wagen entfernt war. Sie hatten noch genügend Zeit. Gabin ließ den Motor an, während der Jüngere die Erde von seinem Anzug klopfte.
»Mach mir die Sitze nicht dreckig.«
»Komm, Chef, jetzt hör schon auf zu meckern. Lass uns anstoßen, ich lade dich auf ein Bier ein.«
Nachdem Inspektor Jacquot Giampieri stundenlang hatte warten lassen, musterte er ihn mit unverhohlener Abneigung. Er war einer der vielen Franzosen, die keine Italiener mögen, und schon gar keine italienischen Kollegen. Auch wenn er die Sprache sehr gut beherrschte. »Die Sache scheint mir klar zu sein. Er sah das Foto, wahrscheinlich in einer Zeitung, und erfuhr, dass sie hinter ihm her waren. Er versuchte zu fliehen, aber als er mit
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