Kein Schlaf für Commissario Luciani
die Hälfte überweise ich an meine Frau.«
»Seit wann bist du denn mit Marina zusammen?«
Risi hatte feuchte Augen, wohl nicht nur wegen des Grappas. »Seit acht Monaten. Ich weiß nicht, ob es eine ernste Sache ist, das heißt, sie ist ernst, ich weiß nur nicht, ob es … für immer ist. Aber im Moment ist sie alles, was ich habe. Der einzige Mensch, mit … mit dem ich halt etwas aufbauen kann. Es ist nicht schön, wenn man allein ist, Nicola. In meinem Alter …«
In deinem Alter, dachte Giampieri. Mit dreiunddreißig? Mit dreiunddreißig allein zu sein, das ist ein Segen, vor allem wenn die Alternative eine kratzbürstige Ehefrau ist, zwei kleine Heulsusen und vielleicht noch Eltern mit Alzheimer … Er dachte an Amalia und an all die Stefania Boemis, die er noch kennenlernen konnte. Für die ernsten Geschichten |351| ist noch Zeit, mein Freund, wenn man neunundzwanzig ist, hat man noch Zeit, und auch mit dreiunddreißig, sogar noch mit neunundneunzig, glaub mir.
Er zog die Geldbörse aus der Tasche, aber der Lokalbesitzer hielt ihn ab.
»Ist schon bezahlt.«
Giampieri schaute überrascht seinen Freund an, der ebenso überrascht war.
»Das waren zwei Herren im Nebenraum.«
Der Ingenieur schaute hinein, und die Blues Brothers grinsten ihn an. Nicht einmal zum Essen hatten sie ihre Ray-Ban-Brillen abgelegt. Der Chef hob sein Bierglas. »Auf den glücklichen Abschluss des Falles. Und auf Ihre bevorstehende Beförderung,
Kommissar .«
Der Jüngere stieß mit ihm an und lächelte sein Zahnpastalächeln.
»Freunde von dir?«, fragte Risi, als sie wieder auf der Straße waren.
»Kann man nicht gerade sagen«, antwortete Giampieri. »Die Kerle sind vom Geheimdienst. Ich weiß nicht, wie sie heißen, ich nenne sie Gabin und Belmondo. Seit einiger Zeit sind sie meine Schutzengel.«
Risi schaute finster. »Solche Typen habe ich noch nie gemocht.«
»Ich auch nicht, ich auch nicht.«
Er hatte allen das Wochenende freigegeben, nach zweiwöchiger Schinderei. Es war richtig, den Abschluss der Ermittlungen zu feiern oder zumindest bei denjenigen, die ihn beobachteten, den Eindruck zu erwecken, dass er sich zufriedengab. Wenigstens für ein paar Tage.
Er ging ins Büro zurück, schloss sich in den Informatikraum ein und starrte den Monitor von Barbaras Computer an. »Du weißt, was passiert ist«, flüsterte er, »und jetzt musst du es mir erzählen.«
|352| Er kam nach Hause zurück und kontrollierte die Markierungen – alles in Ordnung. Er rauchte einen Joint, der ihm bei Verdauung und Entspannung helfen sollte, und dabei spielte er mit der CD herum, auf die er die Dateien aus Barbaras Computer kopiert hatte.
Die Wahrheit würde nun schließlich doch ans Licht kommen. An dem Samstag vor dem Mord war die Sekretärin ins Büro gegangen und hatte aus dem Archiv des Brokers einen Ordner geholt, der »Lächeln« hieß. Er enthielt zahlreiche Dateien zu einer großen Solidaritätsaktion, mit der vor Jahren den Bürgerkriegsopfern im Kongo geholfen werden sollte. Geldbeträge, Umbuchungen, Containertransporte. Aber all das interessierte Barbara nicht. Sie hatte lediglich eine Datei namens »Merli« kopiert. Darin fanden sich alle Einzelheiten zu der später wieder zurückgezogenen Anzeige gegen den Ex-Knacki und LKW-Fahrer, den man auf sein Ehrenwort in Freiheit entlassen hatte und der, nachdem Mantero und die große Schwester sich für ihn verwendet hatten, von der Kirche wie ein verlorener Sohn aufgenommen worden war. Wahrscheinlich war Emanuela Merli zu dem Broker gegangen und hatte um Hilfe gebeten für diesen unglückseligen Bruder und ehemaligen Mandanten Manteros. So hatte Maurizio Merli noch einmal eine Chance bekommen, und er hatte auch diese Chance verspielt: Er hatte eine ganze LKW-Ladung Medikamente unterschlagen und versucht, sie auf dem Schwarzmarkt abzusetzen. Womöglich hatte er gedacht, es wäre keine Sünde, Diebe zu bestehlen, vielleicht wollte er auch nur sein Stück vom Kuchen abhaben, aber seine Auftraggeber sahen die Sache anders. Den Rest kann man sich leicht zusammenreimen: Auf eine Anzeige wurde verzichtet, dafür bewahrte Merli Stillschweigen über irgendein Geheimnis, das er spitzgekriegt hatte. So rettete er seinen Hals, denn eine Anzeige hätte ihn stehenden Fußes in den Knast zurückbefördert. |353| Was Barbara mit diesen Informationen angestellt hatte, das war Giampieri nicht klar. Dass sie Merli erpresste, war auszuschließen, dafür schien sie nicht der Typ zu sein; da war
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