Kein Schlaf für Commissario Luciani
gute Frage, dachte der Ingenieur. Kein Geständnis, kein Motiv, keine Tatwaffe.
»Alle Überprüfungen zu diesem Fall gehen natürlich weiter. Auch zu einigen in Merlis Wohnung sichergestellten Gegenständen, damit sind noch die Labors beschäftigt.«
»Bestätigen Sie die in den letzten Tagen durchgesickerte Information, wonach sich unter den sichergestellten Gegenständen auch ein Bergsteigerpickel befindet?«
Die Serra setzte eine verärgerte Miene auf. »Da diese Information durch Indiskretion jetzt schon … ich würde gerne wissen, wie … da kann ich es auch gleich bestätigen. Ja, wir haben auch einen Bergsteigerpickel gefunden. Das ist alles für heute. Danke.«
Im Flur schob Giampieri sich neben sie. »Dottoressa, Sie haben vergessen zu sagen, dass wir an dem Pickel keine Blutspuren gefunden haben.«
Sie zuckte mit den Schultern: »Das will nichts heißen. Seit CSI läuft, weiß jedes Kind, wie man die beseitigt.«
Er starrte das Handy an, unschlüssig, ob er Marco anrufen oder noch warten sollte. Er wusste, dass er es sofort tun sollte, aber er wusste nichts zu sagen, es war immer so schwierig, jemanden anzurufen, der gerade einen engen Angehörigen verloren hatte. Man redete sich ein, man wolle nicht stören, auch wenn man wusste, dass der andere sich vermutlich freuen würde, denn wer gerade einen solchen Verlust erlitten hat, möchte darüber sprechen, um die Sache einzuordnen und irgendwie erträglich zu machen. Im Grunde musste man gar nicht viel sagen, es reichte eine Bemerkung: »Ich habe eben erfahren …«, »Es tut mir leid«, und dann fing in der Regel der andere zu reden |349| an, er nutzte die Gelegenheit, um sein Herz auszuschütten. Aber trotzdem war es schwer, und zudem war Marco Luciani selbst so einer, der nicht den Mut hatte, offen zu sein, der hinter Giampieris Rücken ermittelt hatte.
Außerdem bedeutete Marco Luciani der Vater nichts, das wussten sie beide ganz genau, er hatte ihn stets gehasst, und wer wusste, ob er jetzt tatsächlich trauerte oder nicht vielmehr erleichtert war. Er überlegte, ob er eine SMS schicken sollte, aber das war nicht sehr feinfühlig. Ein Telegramm hatte eine kühle, formale Würde, aber eine SMS war in so einem Fall nur brüskierend, sie bedeutete so viel wie: Ich mache mir in die Hosen bei dem Gedanken, dass ich dich anrufen muss, oder: Ich habe nicht die geringste Lust dazu und deshalb, bitte, eine SMS, die kostet mich keine Mühe.
Genug, ich werde ihn morgen bei der Beerdigung sehen, dachte er und steckte das Handy wieder in die Tasche. Besser eine Umarmung als ein paar Floskeln übers Handy, egal ob schriftlich oder mündlich. Die Idee mit der SMS geisterte aber trotzdem noch eine Weile in seinem Hirn herum. Am Ende entschied er, dass es auf jeden Fall besser war, erst einmal eine Nachricht zu schicken.
Er fand sich wie jeden Samstag zum Mittagessen mit Davide Risi in der Frittierstube in der Via San Vincenzo ein. Diesmal hatte ihm der Kollege von der Drogenfahndung den dritten Teil von »X Men« mitgebracht. »Wie ist er?«, fragte Giampieri, denn das fragte er immer. Und wie immer antwortete Risi: »Super, wirst sehen.«
»Ich habe ihn auch gesehen, der ist lustig«, sagte die Bedienung, mit einem Lächeln auf die Kassette zeigend. Sie glotzte den Ingenieur an, und dieser lächelte zurück, damit sie ein kleines Erfolgserlebnis hatte, dann machte er sich über Farinata, Torta pasqualina und Panissa her. Risi becherte fast alleine einen Liter Rotwein. Der Ingenieur |350| wollte noch ein Stück Zwiebelkuchen bestellen, doch dann beherrschte er sich. Nachher würde er Stefania sehen, und alles sollte perfekt sein.
Sie tranken noch einen Espresso am Tresen, Risi bestellte einen weichen Grappa, bestand darauf, dass auch Giampieri einen nahm, und dann stieß er mit ihm »auf die Freundschaft und das hinterfotzige Leben« an. Der Ingenieur las in der Miene des Freundes, dass irgendetwas nicht stimmte. »Was ist los mit dir, Davide? Gibt es ein Problem?« Sein Gegenüber erbleichte und senkte den Blick. »Meine Frau. Fast schon Ex-Frau. Sie will mit den Mädchen nach Rom ziehen. Ich werde sie nicht mehr sehen können.«
»Wie alt sind sie denn jetzt?«
»Die große vier, die kleine zweieinhalb.«
»Lass dich doch ebenfalls versetzen.«
»Kann ich nicht. Marina … meine Freundin … die würde aus Genua nicht einmal weg, wenn … Hier kann ich bei ihr wohnen. Wenn ich nach Rom ziehe, dann komme ich mit dem Gehalt nicht hin, mehr als
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