Kein Schlaf für Commissario Luciani
und betrachtete das Meer in der Ferne, wobei er versuchte, die Autoschlangen und die Baustellen zu ignorieren, die das Foce-Viertel zerhackten. »Ihr Verbleib in Genua stand nie zur Diskussion«, hatte der Minister wörtlich gesagt. Er dachte an Iryna, die ihn in ihrer Zweizimmerwohnung erwartete. Er würde sie jetzt anrufen und ihr sagen, sie solle diesen schwarzen Seidenunterrock anziehen, der ihn um den Verstand brachte. »Meine Frau und die Kinder werden glücklich sein«, hatte er gesagt, »sie haben sich hier hervorragend eingelebt.«
Plötzlich war er erschrocken: Hatte er mit dieser Bemerkung nicht den Minister düpiert? Er hatte die Vorzüge Genuas herausgestrichen, wo der Minister einige Jahre zuvor von der Menge ausgepfiffen worden war. Aber sein Vorgesetzter schien das nicht bemerkt zu haben, er war vollkommen auf den Gegenstand des Gesprächs konzentriert.
»Und hören Sie, Herr Polizeichef … was das unglückselige Ende von Vizekommissar Giampieri angeht … ich kann bestätigen, dass für eine posthume Auszeichnung alles bereit ist, aber Sie werden verstehen, dass dieser Fall nicht in die Länge gezogen werden darf … und es darf kein dunkler Schatten zurückbleiben …«
»Sie können den Fall schon als abgeschlossen betrachten«, hatte Iaquinta im Brustton der Überzeugung gesagt. Aber darauf hatte der Minister mit einem Schweigen geantwortet, in dem massive Vorbehalte mitschwangen.
»Wie Sie wissen, Herr Polizeichef, wollen wir unsere Polizei moderner und effizienter gestalten. Eine Polizei schaffen, die unseren Bürgern wirklich hilft, in der keine Sondertouren und Exzesse mehr geduldet werden. Mit einer klaren Kommandohierarchie und zusammengeschweißten Teams. Herausragende Kräfte, die jedoch ihren Individualismus |396| übertreiben, könnten der Effizienz der Arbeit eher abträglich sein.«
Iaquinta hatte im Nu verstanden. Er war für seinen sprichwörtlichen Scharfsinn bekannt, in der Familie wie im Dienst. »Sie brauchen das gar nicht weiter auszuführen, Herr Minister. Ich stimme mit Ihrer Einschätzung vollkommen überein. Keine Sorge, unsere Mannschaft funktioniert bestens. Der einzig mögliche Störfaktor kommt am Montag aus dem Urlaub zurück, aber sein Entlassungsgesuch liegt schon hier in meinem Schreibtisch.«
Am anderen Ende der Leitung wurde ungewöhnlich lang geschwiegen.
»Wir wollen nichts überstürzen. Wir beobachten und wägen ab. Wir geben keine Steilpässe an die Journaille. Ich zähle auf Ihre Erfahrung und Ihren Sinn für Diskretion.«
Manche Tage hat der Herr gesegnet, dachte Iaquinta und legte den Hörer auf. Tage, an denen man vor ein Problem gestellt wird, das den anderen äußerst knifflig erscheint, dessen Lösung man aber bereits in der Tasche hat. Er öffnete die Schublade und streichelte Lucianis Kündigungsschreiben. Dann bespritzte er sich ein wenig mit Parfüm und machte sich auf zu Iryna.
Marco Luciani drehte seine Runden um die Baumwolllager. Es war schon spät, auch die letzten Besucher des Multiplex-Kinos waren wieder ins Auto gestiegen und nach Hause gefahren, und am Porto Antico war er der Einzige, der das Tempo aus dem Trainingsplan hielt. Ihm blieb noch genügend Sauerstoff zum Denken, während er lief, und er grübelte weiter über Nicolas Ende nach. Die Überdosis war eine typische Geheimdienstmethode, mit der man unliebsame Zeugen aus dem Weg räumte. Aber woher wussten sie, dass Nicola fixte, wenn nicht einmal er, der jahrelang mit ihm zusammengearbeitet hatte, davon Wind bekommen |397| hatte? Zu viele Fragen und zu wenige Antworten. Es machte ihn rasend, dass die Antworten zwangsläufig von Vassallos Untersuchungen abhingen, mehr als von seinen eigenen Ermittlungen und seinem Scharfsinn. Was Maurizio Merli anging, der war vielleicht wirklich Barbaras Mörder, aber Leidenschaft kam als Motiv nicht in Betracht, nicht zwischen einer Jungfer und einem Ex-Knacki. Wenn er sie umgebracht hatte, dann musste etwas anderes dahinterstecken, vielleicht hatte man ihn nur als Killer angeheuert und dann eliminiert und gleichzeitig als Sündenbock missbraucht. Vielleicht hatte die Sekretärin ihn im Büro überrascht, während er etwas suchte, oder womöglich hatte er sie in dem Lokal angebaggert, hatte Interesse an ihr geheuchelt, war aber von Anfang an nur hinter dem Büroschlüssel her.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie er durch die Tür kam, ihr Herz klopfte heftig, als sie an den letzten Annäherungsversuch dachte. Sie senkte den Kopf und
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