Kein Schlaf für Commissario Luciani
im Smoking, in einem Salon, wie auf der »Titanic«. Wer auf einer unserer sagenhaften Kreuzfahrten war, das war die Botschaft, braucht psychologische Betreuung, wenn er ohne Traumata in die Normalität zurückkehren will.
Wer weiß, was die Leute dazu bringt, auf Kreuzfahrt zu gehen, dachte er. Und wer weiß, was es kostet, sich mit dreitausend anderen in eine Mietskaserne voll armer Schlucker pferchen zu lassen, die sich nach gefaketem Luxus sehnen, in einer Kabine unter Wasser schlafen, sechsmal täglich |422| Tiefkühlkost verzehren, in Hafenstädten landen, wo ihnen eine Heerschar von fliegenden Händlern Halsketten und Plüschkamele andrehen will. Bei einem Rentner kann ich das verstehen, dachte er, aber ein Mädchen wie Barbara Ameri, das fünfundzwanzig und normalerweise mit den Papaboys 1 unterwegs ist? Sie hätte mehr Spaß für viel weniger Geld bekommen, wenn sie mit dem Rucksack irgendwelche griechischen Inseln erkundet hätte. Zweitausend Euro müsste man mir geben, damit ich auf Kreuzfahrt gehe. Nein, mindestens dreitausend, dachte Marco Luciani. Barbara dagegen, wie viel mochte sie bezahlt haben? Mindestens achthundert Euro. Oder neunhundert?
Diese Entscheidung war wirklich komisch gewesen, eine Reise außerhalb der Saison, mit einem Freund, der noch nicht einmal ihr richtiger Freund war. Und im Geld schwamm sie auch nicht. Im Gegenteil. Vielleicht hat sie in Raten bezahlt, dachte er, die Leute lassen sich heutzutage überall auf Ratenzahlung ein, selbst bei Reisen und überflüssigem Kram.
Ihm kam ein Verdacht, und er ließ seiner Phantasie freien Lauf: Und wenn nicht sie die Reise bezahlt hatte, sondern jemand anders, vielleicht der Junge? Wenn dem so war, dann ist klar, dass er sich etwas ausgerechnet hatte, und wenn er das nicht bekommen haben sollte …
Ich muss Calabrò fragen, ob aus Barbaras Kontoauszügen hervorgeht, dass sie die Reise bezahlt hat, und wie, dachte er. Zufrieden, aus diesem grauenhaften Tag noch etwas Sinnvolles herausgeholt zu haben, faltete er auf dem Sofa seine hundertsiebenundneunzig Zentimeter zusammen und schlief sofort ein.
|423|
»Schnell, komm, beeil dich!«
Die Gestalt kam aus dem Bad und rubbelte ihr triefend nasses Haar. Sie fing ihren Blick auf, während sie sich niederbeugte, und schloss schnell den Bademantel.
»Was gibt’s? Was ist los?«
»Hör zu: ›Damit es runtergeht, muss sie rauf.‹?«
»Hä?«
»Ich muss auf eine Rätselfrage antworten. Das ist die Preisfrage, und ich habe nur noch ein paar Sekunden.«
»Und deswegen jagst du mich aus …«
»Es ist wichtig, glaub mir! ›Damit es runtergeht, muss sie rauf.‹ Was ist das? Streng dich an!«
Ihr Gegenüber zuckte mit den Achseln und erwiderte mit selbstgefälliger Miene: »Die Falltür.«
»Was?!«
»Die Falltür. Meine Oma machte immer diese dämlichen Ratespiele mit mir. Um runterzugehen, muss sie hoch, um einzutreten, muss sie runter, wenn es sich zeigen will, versteckt es sich …«
Aus dem Telefonhörer tönte die Stimme der Radiosprecherin, sie redete hastig, ein Wort an das andere hängend:
»Schnell, nur noch fünf Sekunden!«
»Bist du sicher?«
»Wenn du keine bessere Antwort weißt …«
Sie räusperte sich. »Das ist nicht zufällig … die Falltür?«
»Was hast du gesagt? Sag’s noch einmal laut und deutlich!«
»Die Falltür.«
»Wart mal, ich frage bei der Regie nach …«
Aus dem Hörer dröhnte die Melodie von »We are the Champions«.
»Die Antwort ist richtig! Du hast eine Kreuzfahrt gewonnen!«
|424| Freitag
Luciani & Calabrò
Um halb elf weckte ihn der Kaffeeduft. Zum ersten Mal seit Wochen verspürte er nicht das Bedürfnis, sich noch einmal umzudrehen und weiterzuschlafen. Im Gegenteil, sein Geist war klar, und Luciani brannte darauf, aufzustehen, hinaus in den Garten zu gehen und so schnell wie möglich diese nächtliche Eingebung zu überprüfen, diesen Einfall, der geduldig bis zum Morgen gewartet hatte.
Er trank den Espresso, ließ sich von seiner Mutter zu einem Fruchtsaft überreden und würgte einen Keks hinunter. Donna Patrizia wirkte einigermaßen ausgeglichen, jetzt, da die Tante abgereist war und sie wieder allein über ihr Heim regierte.
Marco Luciani ließ sich so viel Zeit wie möglich, wobei er seine Mutter zu unterhalten versuchte, aber seine Gedanken kehrten immer wieder zu dieser nächtlichen Frage zurück.
Um Viertel nach elf rief er auf der Dienststelle an, er freute sich, dass Calabrò dran war. »Ich hab da ein Problem mit
Weitere Kostenlose Bücher