Kein Schlaf für Commissario Luciani
mich?«
Calabrò bat ihn um Verzeihung und hängte wieder ein.
Seine Mutter hatte ihm das Bett in einem der Gästezimmer bereitet. Er konnte sich noch an dieses kunterbunte Bettzeug erinnern, mit den Vereinssymbolen der Basketballclubs, er hatte es damals selbst ausgesucht. Es musste noch aus der Zeit der Mittelschule stammen. Wie hatte es nur so lange durchhalten können? Ein Laken kann dreißig Jahre überdauern, all diese Waschgänge überstehen, ohne zu reißen? Vermutlich hatte er es einige Zeit benutzt, und dann war es von anderen, neueren abgelöst worden. Seine Mutter musste das Bettzeug verräumt haben, und da war es geblieben, unbenutzt, viele Jahre lang, bis sie wieder einmal Bettwäsche für ihr Kind suchte und ihr zuerst diese Laken in die Hände gefallen waren. Nur war ihr Kind jetzt zwei Meter lang, während Bett und Bettzeug noch aus einer Ära stammten, als er sein Nachtlager noch nicht mit einem Sessel verlängern musste, um die Füße daraufzulegen.
Er machte es sich bequem, so gut es ging. Es freute ihn, dass auch dieser unscheinbare Zufall ihn wieder in seine Kindheit zurückbeförderte, in eine Zeit, als er noch so klein war, dass er seinen Vater bedingungslos liebte. Er |420| dachte an die gelb-orange geblümten Laken, in denen er seine Jungfräulichkeit verloren hatte, kurz vor dem siebzehnten Geburtstag. Es war ein Sonntag, seine Eltern waren mit dem Boot unterwegs, und er hatte Cristina Dodero, die beste Tennisspielerin der Schule, eingeladen. Sie hatten eine Wette abgeschlossen: Wenn er sie schlug, sollte er eine Sonderprämie bekommen. Er hatte bei dem Match triumphiert – und erst Jahre später verstanden, dass Cristina absichtlich verloren hatte.
Er schaute auf die Uhr: ein Uhr vorbei. Ich sollte das jetzt besser seinlassen und schlafen, sagte er sich. Er schloss die Augen und gab sich der Stille des Hauses hin. Keine Alte, die über ihm mit ihrem Gehstock klapperte, kein Betrunkener auf der Straße, kein Eisenrollo, das herunterratterte, kein Motorrad. Wenn er bewusst, mit voller Konzentration, lauschte, dann konnte er in der Ferne ein leises Summen hören wie von einem unsichtbaren Motor, der nichts anderes war als der Atem von Pflanzen und Tieren, der große Akku des Lebens, der sich in der Nacht wieder auflud. Auch die Temperatur war ideal, kein bisschen zu warm, wenn man reglos im Bett lag, spürte man sogar eine gewisse Kühle. Er zog das Plaid heran, das seine Mutter auf den Stuhl gelegt hatte, schloss die Augen und freute sich auf den besten Nachtschlaf der letzten Monate.
Um Viertel vor vier – er hatte zum hundertsten Mal auf die Uhr gesehen – gab er auf, zog seine Hose an und ging hinunter in die Küche. Die Gedanken ließen ihn nicht zur Ruhe kommen, und in der Stille setzten sie ihm noch mehr zu. Barbara Ameri, Maurizio Merli und Nicola. Ein Mord, ein Selbstmord, ein Unfall. Er stellte einen Topf Wasser auf den Herd, dann bekam er Skrupel und ging noch einmal nach oben, um nach seiner Mutter zu sehen. Die Tür war angelehnt, er hörte ein leises Schnarchen und entspannte sich. Das Beste, was ihr passieren kann, ist |421| schlafen, dachte er mit einem Anflug von Neid. Ich weiß nicht, wie lange ich so noch durchhalten werde, sagte er sich, ehrlich erstaunt. Seit Wochen habe ich nicht mehr richtig geschlafen, und tagsüber ruhe ich mich auch nicht gerade aus, im Gegenteil.
Er bereitete sich einen Tee und nahm ihn mit vor den Fernseher, er stellte ihn stumm und zappte ein bisschen herum, in der Hoffnung, etwas zu finden, was ihn einschlafen ließ. Er schaute ein paar Bildungsprogramme an, eine triste Stripnummer, die jemand auf seinem Sofa zu Hause gedreht hatte, ein Stück Telenovela, die, ohne Ton, ziemlich spannend wirkte, schließlich sprang er, ohne es recht zu merken, von einer Werbeunterbrechung in die nächste, denn die Spots hatten im Durchschnitt sicher mehr Qualität als die restlichen Sendungen. Er sah Werbung für Autos, Lebensmittel, Telefonanbieter. Dann glaubte er, als er eine verzweifelt weinende Frau sah, es gehe um eine Versicherung, aber stattdessen erschien ein Schiff mit derselben Frau: relaxed auf einem Liegestuhl beim Sonnenbaden; dann sah er die Frau auf der Liege eines Psychoanalytikers und sofort danach fand er sie, in einem Flashback, wieder lächelnd in einem Massageraum; dann war auf einer Couch ein Ehepaar in einer Art Schockzustand zu sehen: Die beiden kamen nicht über die Erinnerung an das Galadinner mit dem Kapitän hinweg, alle
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