Kein Schlaf für Commissario Luciani
größte Abzocke war das Auto, das er sowieso fast nie benutzte: Jedes Jahr waren ungefähr siebenhundert Euro an Versicherung und zweihundert an KFZ-Steuer fällig, dabei waren noch nicht einmal das inzwischen sündhaft teure Benzin oder etwaige Reparaturen eingerechnet. Im günstigsten Fall kostete ihn nur der Fakt, dass er ein Auto besaß, weitere hundert Euro im Monat. Keine Frage: das war der erste trockene Ast, den er kappen würde. Er brauchte – ohne Sonderausgaben – mindestens neunhundert Euro im Monat zum Leben, wenn man hundert davon einsparte, war das schon ein Fortschritt.
Der Reihe nach schaute er die alten Rechnungen durch, die er aufbewahrt hatte. Gas und Strom waren unverzichtbar, aber der Festnetzanschluss des Telefons war noch so ein absurder Kostenfaktor. Alle zwei Monate zahlte er eine Grundgebühr, die praktisch achtzig bis neunzig Prozent der Gesamtrechnung ausmachte, da er nie jemanden anrief. Er hatte das Telefon immer für den Notfall behalten, aber jetzt, dachte er, kann ich mir gleich ein Handy besorgen. Die wenigen, die mich noch anrufen, werden mich mobil erreichen. Er hatte sich immer stur geweigert, ein Handy zu kaufen, aber am Ende hatte die Gesellschaft auch in diesem Fall dafür gesorgt, dass es unökonomisch war, keines zu besitzen. Und schließlich hatten sich alle zu fügen. Wie immer.
Zumindest werde ich eine Abfindung bekommen, dachte er. Und vielleicht auch das Schmerzensgeld für den Überfall durch die Hooligans, bei den Ermittlungen zum letzten Fall. Aber er hatte bereits beschlossen, dass er dieses Geld spenden würde, er hätte niemals Geld von einem Club angenommen, der Schiedsrichter bestach.
|96| Wie groß war wohl der Schatz, den sein Vater angehäuft und im Ausland versteckt hatte? Zehn Prozent davon würden mir reichen, um ein fürstliches Leben zu führen, dachte er. Dann verscheuchte er jeden Gedanken an die Versuchung und an einen möglichen Kompromiss: Man kann nicht zu neunzig Prozent aufrichtig sein. Dieses Erbe würde er niemals anrühren.
Um Viertel vor zwei in der Nacht drängte sich ein merkwürdiges Geräusch in Marco Lucianis Träume. Er war eben erst wieder eingeschlafen und lag am Rand eines Schwimmbeckens. Es war heiß, aber er wusste, dass er gleich ins kalte Wasser springen würde, er steigerte die Vorfreude, indem er den Augenblick so lange wie möglich hinauszögerte und dabei, hinter der Sonnenbrille verborgen, den Gang der bildhübschen Mädchen genoss, die an ihm vorbeiflanierten, ihn aus dem Augenwinkel betrachteten und ihm ein aufreizendes Lächeln zuwarfen. Irgendetwas musste jedoch kaputt gegangen sein, vielleicht im Wasserfilter des Pools. Man hörte, in gleichmäßigen Abständen, eine Art
frasch, frasch
, er kapierte nicht recht, was es war, aber das Geräusch wurde mit der Zeit immer stärker und deutlicher, bis ein metallischer Klang dazukam:
tereteng, tereteng, tereteng
. Offensichtlich war die Pumpe im Eimer, und auch die Mädchen sahen besorgt aus, sie schauten ihn an, fürchteten, er könnte gehen, sie alleine lassen, bevor er sie alle befriedigt hätte, würde erwachen.
Er öffnete ein Auge und brauchte eine Weile, um zu merken, dass er in seinem Schlafzimmer lag. Das Geräusch war jetzt höllisch laut, schien aus der Küche zu kommen, nein, von der Straße, und kaum war er vollständig wach, erkannte er mühelos den Besenwagen, der den Rand der Gasse kehrte und dabei Papier und Müllreste vor sich her schob. Das akademische Genie – mittlerweile waren alle |97| Straßenkehrer Akademiker – hatte eine leere Blechdose erwischt und trieb diese in Halb-Meter-Sprüngen vor sich her, mit geduldiger Entschlossenheit, von einem Ende der Gasse zum anderen, wobei er sein Konzert für Besenborsten und Aluminium in alle Häuser trug.
|98| Donnerstag
Giampieri
Nicola Giampieri hatte eine riesige Papierrolle unter den Arm geklemmt, als er in die Dienststelle von Rapallo kam. Mit triumphierender Miene betrat er Venutis Büro und breitete auf dem Schreibtisch die große graphische Darstellung des Mietshauses in der Via Bixio aus, die er per Computer erstellt, farbig ausgedruckt und vergrößert hatte. Alle Wohnungsnummern waren eingetragen, außerdem die Positionen der Mieter in den Minuten vor und nach der Tat, entsprechend den Ergebnissen der Vernehmungen und Gegenkontrollen. In Blau hatte der Ingenieur alle Fakten notiert, die über jeden Zweifel erhaben waren, zum Beispiel den Anruf um 9.13 Uhr in der Notrufzentrale, in Rot
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