Kein Schlaf für Commissario Luciani
alleinerziehenden Mütter abzog, dann blieben in Rot ein junger Carabiniere mit Frau und kleiner Tochter, der jedoch absolut integer schien, und ein kinderloses Ehepaar um die Vierzig, das |101| sich gegenseitig ein Alibi gab: Aufstehen, Frühstück, Aufbruch zur Arbeit gegen neun.
Nachdem er diese lange Übersicht gegeben hatte, schüttelte Giampieri den Kopf und schnaubte, dann polierte er umständlich seine Brille. Venuti nickte voller Bewunderung: »Eine beachtliche Leistung, Nicola. Wirklich. Daraus ergeben sich keine Neuigkeiten gegenüber dem, was wir schon wussten, aber all die Dinge noch einmal in einer Zusammenschau schwarz auf weiß zu sehen, das heißt rot auf blau, verschafft einem mehr Klarheit.« Giampieri wusste nicht, ob der Kollege ihn auf die Schippe nehmen wollte.
»Ich meine es ernst«, sagte Venuti überzeugt. »Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass alles blau wird, oder höchstens ein Name rot bleibt.«
Giampieri zündete sich eine Zigarette an und setzte sich. »Das Zeitfenster, das dem Mörder blieb, reicht von 8.25 Uhr, dem Zeitpunkt, zu dem Barbara ins Büro kommt, sich setzt und den Computer anschaltet, bis 8.40 Uhr. Danach wird es schwierig, da ist zu viel Betrieb.«
»In einer Viertelstunde kann man sich schwerlich Einlass verschaffen, jemanden töten, sich in der Toilette waschen und verschwinden«, insistierte Venuti. »Entweder hatte der Mörder mehr Glück als Verstand, oder wir müssen davon ausgehen, dass er im Haus blieb. Turone hätte mit ihr ins Büro gelangen können, und der Anwalt hätte sogar schon dort sein können, um auf sie zu warten.«
»Die Zeit reicht allemal, um hereinzukommen, zu töten und wieder abzuhauen«, bemerkte Giampieri. »Ich glaube, wenn es einer von ihnen gewesen wäre, dann wäre er beim Verhör schon eingeknickt, vor allem der Junge.«
»Von der Gasse aus kann man fast ungesehen durch die Haustür gelangen«, bestätigte Vitone. »Was ich nicht begreife, ist, wie der Täter, nachdem er wieder draußen war, die Waffe verschwinden ließ.«
|102| Venuti zündete sich seine Zigarre wieder an, obwohl das Zimmer schon voller Rauch hing: »Ein Hausbewohner hätte zumindest gewusst, wie er vorzugehen hat.«
»Aber es wäre ziemlich dumm von dem Anwalt gewesen, sie ausgerechnet in seinem Büro umzubringen. Vor allem, wenn das Motiv persönliche Gefühle waren.«
»Und wenn sie nicht persönlich waren?«
»Inwiefern?«
»Nehmen wir mal an, dass er sie bei irgendetwas überrascht hat, etwas, das sie auf keinen Fall hätte tun dürfen, oder besser gesagt, das ihm sehr gefährlich werden konnte. Er hätte sie nicht einfach entlassen können, er hätte sie zum Schweigen bringen müssen.«
»Auf jeden Fall müssen wir an ihm dranbleiben. Die Serra muss sich endlich dazu durchringen, ein Ermittlungsverfahren gegen ihn einzuleiten.«
Giacomo Carrisi, genannt Jacky, wartete seit zwei Stunden auf dem unbequemen Stuhl, der auch Mantero gefoltert hatte. Giampieri und Venuti mussten nur eintreten und ihm in die Augen sehen, und schon wussten sie, dass er nicht einen Hauch der Kälte und Selbstbeherrschung des Anwalts hatte. Seitdem er eingetroffen war, hatte er mindestens dreimal darum gebeten, dass man seiner Mutter nichts sagte, sie lebe mit ihm zusammen und sei herzkrank. Er war fünfundzwanzig Jahre alt, sehr gepflegt, sein gefälliger Körper wohl im Fitnessstudio trainiert, und sein linker Oberarm wurde von einer Tätowierung umschlossen: eine Reihe ineinander verhakter Geckos, womöglich eine Hommage an seinen Spitznamen. Der Ingenieur dachte, dass er erst mal nicht so wirkte, als ob ein so bescheidenes und hausbackenes Mädchen wie Barbara ihm gefallen könnte. Um es rundheraus zu sagen: Er wirkte nicht so, als ob Mädchen ihm überhaupt gefielen.
|103| Venuti sah, dass der Bursche eingeschüchtert war, und so ging er ihn gleich frontal an, mit voller Wucht. »Also, warst du es? Hast du sie umgebracht? Warum? Hat sie dich nicht rangelassen? Seit wann wart ihr zusammen?« Sein Gegenüber hielt dem nicht einmal eine Minute lang stand, dann fing er an zu stottern: »Nein, ja, nein, wir waren nicht zusammen, wir waren nur Freunde, nur Freunde, ich hatte sie gern.«
»Du bist abgehauen, untergetaucht.«
»Ich war in Voghera, bei der Arbeit, überprüfen Sie das, ich habe die Stechuhr bedient.«
»Auf deine Stechuhr scheiß ich, die kann jeder Kollege für dich bedient haben, hältst du uns für bescheuert?«
»Nein.«
»Sag uns, wer es
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