Kein Schlaf für Commissario Luciani
es auch sehen«, seufzte der Vater. »Sagen wir, ich bin schon dichter dran am Ende, ganz dicht. Aber ich will kein Mitleid von dir, keine Sorge. Ich will auch nicht über die Vergangenheit reden. Nur über die Zukunft. Natürlich nicht über meine, sondern über die Zukunft deiner Mutter, und, wenn du willst, auch über deine.«
Marco Luciani hatte sich vorgenommen, eine zynischdistanzierte Haltung zu wahren. Seinen Vater zu behandeln wie immer. Nur weil er starb, brauchte Luciani sein Urteil über ihn nicht zu revidieren. Das wäre inkonsequent gewesen, wie jemand, der sein Leben lang Atheist ist und dann auf dem Sterbebett nach einem Priester verlangt.
»Danke, um meine Zukunft werde ich mich alleine kümmern, wie ich es immer getan habe. Und ich werde versuchen, mich auch um Mutters Zukunft zu kümmern.«
|115| »Hör mich an. Ich weiß, wie viel Überwindung es dich gekostet hat, hierherzukommen, aber spar dir deinen Groll für etwas Wichtigeres auf. Bei mir ist er inzwischen vergeudet, das lohnt nicht mehr. Ich bin über all das hinaus, aber du weißt, dass ich die Dinge nicht gerne in der Schwebe lasse. Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass du zurechtkommen wirst, du bist gut, vielleicht sogar zu gut. Wenn du weniger fähig gewesen wärst, dann wärst du gescheitert, hättest umkehren müssen und hättest besser gelebt … nein, ›besser‹ ist nicht der richtige Ausdruck, sagen wir, du hättest ein bequemeres und einfacheres Leben gehabt.«
Marco Luciani fragte sich, ob der Vater ihm tatsächlich ein Kompliment machen wollte.
»Donna Patrizia ist eine großartige Frau, aber sie hat nicht deine Kraft. Sie hat immer einen bestimmten Lebensstil gepflegt, und in ihrem Alter kann sie sich nicht mehr umstellen. Wir haben nicht die Reichtümer beiseitegeschafft, die sich die Richter ausmalten, doch es ist trotzdem genug übrig, dass sie sich für den Rest ihrer Tage keine finanziellen Sorgen machen muss. Aber du kennst sie, sie hat keinen Geschäftssinn, und ich möchte nicht, dass sie sich auf Fehlinvestitionen einlässt oder dass jemand sie ausnutzt.«
»Aber das Geld wird doch wohl auf der Bank sein.«
»Eben deshalb. Die schlimmsten Aasgeier sitzen in den Banken, schau dir doch an, wie viele Leute die in den Ruin getrieben haben. Da gilt es auf der Hut zu sein, Marco. Der Direktor ist unser Freund, aber er wird bald in Pension gehen, und jedenfalls wäre ich beruhigt, wenn du das Vermögen, ich will nicht sagen verwalten, aber jedenfalls …«
»Papa, ich weiß, worauf du hinauswillst. Ich will dieses Geld nicht anrühren, ich will es nicht sehen, ich will damit nichts zu schaffen haben.«
|116| Der Vater hob die Hände ein wenig, als wollte er sich geschlagen geben.
»Ist ja gut, ist ja gut. Ich habe es um deiner Mutter willen gesagt, nicht deinetwegen. Wenn sie auf der Straße landet, wer versorgt sie dann? Du? Soviel ich gehört habe, hast du nicht einmal mehr eine Arbeit.«
Marco Luciani erhob sich. »Du hattest auch keine Arbeit. Zu stehlen hat nie als Arbeit gegolten.«
Der Vater wollte etwas erwidern, hielt sich dann aber zurück.
Der Sohn war versucht, ihn um Verzeihung zu bitten, hielt sich aber ebenfalls zurück.
Sie schauten einander einen Moment in die Augen, der Kommissar wandte zuerst den Blick ab und ging zur Tür.
»Grüß mir Mama. Sag ihr, dass ich bald wieder komme.«
Er öffnete die Tür, konnte sich einen Augenblick lang nicht entscheiden und sprach dann Richtung Zimmerdecke:
»Papa.«
»Ja.«
»Wenn du mich brauchst, dann melde dich. Ich meine, wenn es dir nicht gutgeht.«
»In Ordnung, melde du dich auch, wenn du Geld brauchst.«
Luciani drehte sich um, fast wäre er geplatzt vor Wut. Der Vater lächelte wie ein Kind, dem ein Streich gelungen ist.
Als er an sein Mietshaus kam, erkannte er schon aus der Ferne eine vertraute Gestalt, die er oft in dieser vermeintlich zufälligen Pose gesehen hatte, als ob sie auf irgendjemanden warten würde, der sich verspätet hatte. Wenn der Verdächtige uns nicht kennt, hatte er seinen Leuten immer gesagt, ist es sinnlos, sich hinter einem Häusereck oder einer Zeitung mit Gucklöchern zu verschanzen. Wir fallen weniger auf, wenn wir uns mitten auf die Straße stellen und permanent auf die Uhr schauen.
|117| »Calabrò.«
»Ach, Commissario. Ich habe auf Sie gewartet.«
»Wie geht es? Frau und Kinder? Alle wohlauf?«
»Ja, ja, alles in Ordnung, Commissario. Das heißt, meine Frau lässt Sie grüßen, ich soll Ihnen
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