Kein Schlaf für Commissario Luciani
sagte er, auf seine Landsleute deutend, die Kisten und Kartons auf den Dreirad-Transporter luden, »aber müssen oft fahren, ganze Tag hin- und herfahren.«
Marco Luciani sah die verschlafenen Kinder, die sich hinter der Mutter versteckten, und er brachte es nicht übers Herz, weiter Terz zu machen.
Er schloss das Fenster, wusch sich das Gesicht, trank einen Espresso und zog sich Shorts und T-Shirt über. Da er schon einmal wach war, konnte er auch die frische Morgenluft für einen schönen Trainingslauf nutzen.
Er ging hinunter auf die Straße, grüßte die Nachbarn und erklärte ihnen, dass sie, auch wenn man sie zur Wohnungsräumung aufforderte, nicht sofort ausziehen mussten. |216| Wenn sie sofort auszogen, verzichteten die neuen Eigentümer auf eine Monatsmiete, war die Antwort, außerdem würden sie sogar eine kleine Abfindung bekommen.
Der Kommissar fluchte im Stillen: Wenn jetzt zu den Sanierungsarbeiten an Dach und Fassade auch noch die Wohnung im zweiten Stock kam, würde es in dem Gebäude nicht mehr auszuhalten sein. Der einzige Vorteil war, dass der furchtbare Currygestank aus dem Treppenhaus verschwand. Er lief Richtung Kais, rannte aber widerwillig und kurzatmig, etwa zwanzig Minuten lang. Trotz seines geringen Lauftempos raste sein Herz. Er setzte sich keuchend auf eine Bank, ließ sich zur Seite sinken und schlief eine glatte halbe Stunde, wie im Vollrausch.
Als Luciani in die Augen von Paolo Ameri und seiner Frau blickte, wusste er, dass er sich in eine Einbahnstraße manövriert hatte und es kein Zurück mehr gab. Sie baten ihn ins Wohnzimmer, die Frau musste den ganzen Vormittag geputzt und aufgeräumt haben, aber die beklemmende Atmosphäre, die alle Räume beherrschte, war nicht wegzuwischen. Die Fensterläden waren nur halb geöffnet, und die zugezogenen Vorhänge sperrten den letzten Rest Tageslicht aus. Nach Barbaras Tod hatte sich Stille über diese Wohnung gebreitet, war bis in den letzten Winkel gedrungen. Wie ein unsichtbares Gas dämpfte und vernichtete sie die heiteren Laute des Sommers.
Ameri und Frau nahmen Platz, sie auf dem Sofa, er auf einem Stuhl. Luciani hätte lieber gesehen, dass sie sich nebeneinander setzten, mit Knien oder Schultern einander berührten, stattdessen blieben, wie er schon mehrfach beobachtet hatte, zwei Menschen, die von demselben Kummer gebeugt wurden, körperlich und seelisch isoliert, jeder war zu sehr in den eigenen Schmerz vertieft, um dem anderen helfen zu können, vielleicht hasste er diesen sogar insgeheim, |217| warf ihm vor, Auslöser oder Komplize der Tat zu sein. Sie werden sich weiter gegenseitig beschuldigen, dachte Marco Luciani. Vielleicht würde es ihnen helfen, wenn der Täter gefunden würde, vielleicht aber auch nicht, schwer zu sagen. Wenn er jedoch die Mutter hörte, wie sie Kindheitsgeschichten von »Babi« erzählte, oder den Vater, der daran erinnerte, wie lieb und aufopferungsvoll sie gewesen war, wie sie ihn kürzlich gehegt hatte, als er im Krankenhaus lag, dann spürte er, dass er es zumindest versuchen musste.
Er stellte ein paar allgemeine Fragen zu ihr, ohne weiter auf den Morgen der Tat einzugehen. Er wollte sich noch eine Hintertür offenhalten und nicht den Eindruck vermitteln, er hätte den Fall bereits übernommen. Sie erzählten von einer vernünftigen, anständigen Tochter, die keine Flausen im Kopf hatte. Die hart arbeitete und ihr Geld nicht für Designerklamotten oder sonst was zum Fenster hinauswarf, sondern etwas zur Haushaltskasse beisteuerte. Die Ferien und Wochenenden verbrachte man, ganz unspektakulär, bei Onkel Pietro in Santo Stefano d’Aveto, wo auch die Mutter geboren war und wo man seit jeher hinfuhr. Als der Kommissar fragte, weshalb Barbara immer noch bei den Eltern lebte, sagten diese, das sei ihre freie Entscheidung, kein Zwang gewesen. Sie hätten sich manchmal sogar selbst ein wenig Sorgen gemacht, hätten sich gewünscht, dass sie ein bisschen mehr an sich selbst, an ihre Zukunft dachte. Aber so war Babi eben, seufzte der Vater, auch in ihrer Freizeit fand sie Mittel und Wege, den Benachteiligten zu helfen, sie arbeitete ehrenamtlich für die Gemeinde, verteilte am Freitagabend Essen unter den Obdachlosen und heißen Tee unter den Prostituierten. Der Herr wollte sie bei sich haben, sagte die Mutter, weil sie ein Engel war. Sein schönster Engel. Der jetzt auf dem kleinen Friedhof von Santo Stefano ruhte, wo sie ihn – ohne Vorankündigung – am Vortag |218| bestattet hatten. So hatten
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