Kein Schlaf für Commissario Luciani
über die Küstenstraße in die Via Aurelia. Es war ein glühend heißer Tag, nur vom Meer her wehte eine leichte Brise, die das Wasser kräuselte und etwas Abkühlung brachte. Selbst aus der Ferne erkannte man, dass die See nicht sauber war, aber das schien die Badenden nicht zu stören. Man gewöhnt sich an alles, dachte er, selbst wenn das Meer sich in eine einzige Kloake verwandeln würde, würden die Leute zwar ein paar Tage auf Abstand gehen, dann aber würde es die Ersten wieder reizen, irgendjemand würde behaupten, es sei gut für die Haut, und voilà: am Ende würden alle glücklich und zufrieden durch die Scheiße kraulen.
Er saß im Garten auf einer alten Liege mit zerrissenem Polster, die Knie am Kinn, mit schmerzendem Hintern, und betrachtete die dunklen Augenhöhlen seines Vaters, der auf einer Rattan-Chaiselongue in einen Berg von Kissen gebettet war. Er wirkte noch viel müder als beim letzten Mal, dafür schien er weniger zu leiden. Das war wohl den Medikamenten zu verdanken. Luciani konzentrierte sich wieder auf die Worte der Mutter.
»Laut Maria Rosa hat ihr Chef gar nichts damit zu tun. Sie sagt, er ist schüchtern und findet keinen Zugang zu Frauen, würde sich aber niemals zu einer solchen Tat hinreißen lassen.«
Marco Luciani griff nach der Teetasse. »Entschuldige, aber woher kennst du überhaupt diese Ameri?«
»Ich kenne sie nicht besonders gut, vor vielen Jahren haben wir gemeinsam an einigen Aktivitäten von Don Guidos Gemeinde in Rapallo teilgenommen.«
Der Vater schaltete sich ein: »Der Bruder hat lange Jahre als Gärtner bei Griggi gearbeitet. Erinnerst du dich an ihn?«
»Der Politiker?«
»Genau. Der zwei Monate nach mir im Gefängnis landete. Siebenundsiebzig Tage Haft, sieben Jahre Prozess |205| und am Ende in allen Anklagepunkten freigesprochen, ohne ein Wort der Entschuldigung.«
Marco Luciani behielt seine Replik für sich. Griggi, Freispruch hin oder her, war ein notorischer Langfinger.
Donna Patrizia fuhr fort: »Maria Rosa erinnerte sich noch an mich, und an dich als meinen Sohn. Sie muss dich in der Zeitung wiedererkannt haben, als es um den Fall mit dem Schiedsrichter ging. So hat sie mich angerufen und um Rat gefragt, aber ich habe gleich gemerkt, dass sie in Wahrheit einen Kontakt zu dir herstellen wollte. Sie bräuchte weniger einen Anwalt als vielmehr einen Detektiv.«
Marco Luciani schüttelte den Kopf: »Ich? Privatdetektiv? Das kommt gar nicht in Frage.«
Er stellte die Teetasse ab und erhob sich. Warum zum Henker mussten ihn alle mit dieser Geschichte belämmern? Zuerst Iannece, dann Calabrò, der Polizeichef, Giampieri und jetzt sogar seine Mutter.
»Aber warum denn nicht? Es ist die Arbeit, die du immer getan hast. Und wenn du jetzt aus der Polizei ausscheidest, dann solltest du überlegen, den Job auf eigene Rechnung weiterzumachen. Vielleicht würdest du sogar mehr verdienen.«
»Es geht nicht nur ums Geld. Einer, der die Mordkommission geleitet hat, fängt nicht an, untreue Ehemänner zu beschatten. Das ist eine Frage der Berufsehre. Und den Kollegen gegenüber wäre es auch nicht fair. Mein Vize würde denken, ich will ihn hintergehen, um Himmels willen.«
Der Vater wurde von einem langen Hustenanfall geschüttelt, er rollte dramatisch die Augen und schien furchtbare Schmerzen zu leiden. Es dauerte einige Minuten, ehe er sich wieder gefangen hatte. Mit einem Taschentuch säuberte er sich Mund und Hals und sagte dann mit dünner Stimme: »Schwachsinn.«
|206| »Wie?«
»Das ist alles Schwachsinn. Berufsehre, Kollegen, Geld. Hier zählt nur eines: den Mörder zu fassen. Um den Mord an diesem armen Mädchen zu sühnen und zu verhindern, dass er noch jemanden umbringt.«
Marco Luciani spürte sofort Widerwillen in sich aufsteigen. Das ist ein Vortrag, den ich hätte halten müssen, dachte er, ich bin der Wächter der Gerechtigkeit und brauche mir von einem korrupten Schurken nichts sagen zu lassen. Und doch hatte sein Vater recht, wenn er auch nur die geringste Chance hatte, den Mörder früher als die anderen aufzuspüren, dann musste er sich in den Dienst der Ameris und der Allgemeinheit stellen.
Die Mutter wartete auf eine Replik, dann merkte sie, dass sie diese Runde gewonnen hatte. Sie streckte ihm einen Zettel mit Paolo Ameris Telefonnummer und Adresse hin.
»Ich werde sehen, was ich tun kann. Aber versprechen kann ich dir nichts.«
Der Große Cäsar streckte eine Hand aus und packte Luciani am Unterarm: »Warte, Marco.« Es war ihr
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