Kein Sex ist auch keine Loesung
romantisch.
Frauen lieben romantische Orte. Ich weiß das deswegen so genau, weil ich schon einige Erfolge vor dieser Kulisse verbuchen
konnte.
«Wenn man bedenkt, wie schwer da drüben rund um die Uhr gearbeitet wird und wie viele entsetzliche Unfälle sich dabei bestimmt
schon ereignet haben … grauenhaft», stöhnt Elisa und dreht den Docks den Rücken zu.
Immerhin saugt sie dann aber geräuschvoll den Rest ihres Cocktails durch den Strohhalm. Ungefragt düse ich los, um Nachschub
zu holen.
Ich muss dringend noch ein paar Promille in die Lady reinpumpen, sonst wird das hier nix. Der Barkeeper zwinkert mir aufmunternd
zu, als ich ihn um einen extrastarken Mix bitte. Meinen bestelle ich vorsichtshalber alkoholfrei.
Ganz ruhig, Junge, spreche ich im Geiste auf mich ein. Nach diesem Glas ist es nur noch ein kleiner Schritt, bis du die Katze
im Sack – oder sagen wir lieber: die Frau im Bett – hast.
|67| Gut, zugegeben, «kleiner Schritt» ist optimistisch ausgedrückt. Aus zuverlässiger Quelle (Nadja) weiß ich, dass Frauen beim
ersten Annäherungsversuch allergrößte Perfektion verlangen. Es muss der perfekte Ort, das perfekte Timing und der perfekte
Kuss sein. Gnadenlos entscheiden sie anhand des ersten Lippenkontaktes über dein weiteres Schicksal. Ob du dich für die zweite
Runde qualifizierst oder in die Wüste geschickt wirst, wird ausgerechnet am hygienefreien Austausch mikrober Bakterienkulturen
festgemacht, und das, obwohl Frauen sich doch sonst immer so stubenrein geben.
Einen Wiederholungsversuch gibt es nicht. Vergeigt ist vergeigt. Und zu allem Überfluss wird man bei Nichtgelingen auch noch
zum Gespött des nächsten Kaffeekränzchens. Der erste Kuss ist kriegsentscheidender als der erste Sex. Für Frauen jedenfalls.
Männer sind da nicht so kleinlich.
Ohne mit der Wimper zu zucken, nimmt Elisa jetzt einen tiefen Schluck aus der Mischung, die selbst die Klitschko-Brüder unter
den Tisch befördern würde. Als sie mir dann mit glasigem Blick und, wie ich finde, auffordernd in die Augen sieht, wage ich
mich näher heran. Vorsichtig, als balancierte ich eine Handgranate im Mund, nähere ich mich Elisas Lippen.
Ich wäre stolz, behaupten zu können, dass Küssen mein Steckenpferd ist und meine sämtlichen Verflossenen stets vor Wonne winselnd
in die Knie gegangen sind. Doch stattdessen fällt mir ausgerechnet jetzt die dumme Geschichte aus meiner Teenagerzeit wieder
ein.
Damals, im Winter, als mir beim Bespitzeln meiner frühreifen Halbschwester Katrin und ihres supercoolen Freunds |68| der Mund am Kotflügel seines Autos festfror. Wolfgang, genannt Wolle, sah damals aus wie Klaus Meine von den Scorpions und
trug eine Lederjacke, auf deren Rücken in selbstgemalten Lettern stand: «Wir sind die Leute, vor denen unsere Eltern uns immer
gewarnt haben.» Außerdem fuhr er einen laubfroschgrünen Ford Capri, in dem die beiden meist noch stundenlang rumknutschten,
wenn Wolle meine Schwester zu Hause ablieferte.
Eines Abends bin ich dann übers Ziel hinausgeschossen. Um durch die beschlagenen Scheiben einen Blick auf das – für mich geradezu
pornographisch anmutende – Ereignis erhaschen zu können, kam ich mit den Lippen gegen die Karosserie und blieb dort kleben.
Es war erbärmlich. Eine Befreiung aus eigener Kraft war unmöglich, weswegen ich schweren Herzens und in gebückter Haltung
meine Rettung selbst vorantreiben musste, und zwar durch wildes Klopfen an die Fensterscheibe.
Nicht mal wenn die Hölle zufriert, werde ich Wolles dreckiges Lachen vergessen, das noch durch die Straße gellte, als meine
Schwester schon mit der eigens mobilisierten Nachbarschaft und deren gesammelten Verlängerungskabeln eintraf. Allen voran
meine Mutter, der es, mit einem Föhn bewaffnet, zwanzig Minuten später gelang, mich aus meiner Falle loszueisen.
Noch heute wird diese Geschichte warnend von einer Nachbarsgeneration an die nächste überliefert.
Mmmm … Elisas Lippen schmecken wie ein Cream-Cheese-Bagel, aber einer ohne Körner. Herrlich! Erstaunlicherweise gelingt es mir
trotzdem, mich aus eigener Kraft von ihrem Mund zu lösen. Ein Sieg über meine Hormone, |69| wie ich ihn nicht allzu oft davontrage. Na bitte, geht doch.
Normalerweise münden leidenschaftliche Küsse ja in ein noch leidenschaftlicheres Sich-die-Kleider-vom-Leib-Reißen, was man
in der Öffentlichkeit jedoch tunlichst vermeidet und weshalb man geschwind den Heimweg
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