Kein Sex ist auch keine Loesung
Wohlstand und Unabhängigkeit.
Soweit ich mich erinnern kann, war sie damals schon in der Marketingabteilung irgendeines Konzerns tätig und bereits eine
hervorragende Geschäftsfrau.
Wir kamen schnell überein, dass uns außer einer – nebenbei bemerkt erstklassigen – Bettgeschichte nichts verbinden sollte.
Und dabei blieb es auch. Am letzten Unterrichtstag kam es quasi nochmal zu einem finalen Höhepunkt, ehe wir uns die Hand gaben
und danach sofort aus den Augen verloren.
Bis zum heutigen Tag.
Offensichtlich ist Lydia für ihre Karriere nicht mal vor einer Heirat mit dem Wachkomapatienten Urs Cremand zurückgeschreckt.
Ein ziemliches Opfer, wie ich finde, nur um an Geld zu kommen.
Ich schiele unauffällig zu ihm hinüber, doch sein zweiter Vorname könnte «Weck-mich-nicht» lauten. Irgendwie tut er mir sogar
ein bisschen leid, offensichtlich ist er schon mit Geradeausgucken und Atmen überfordert. Eine Frau wie Lydia zu bändigen
ist allerdings ein Vollzeitjob. Jedenfalls, wenn man der einzige Mann in ihrem Leben bleiben will.
Anscheinend hat Lydia nicht vor, unsere gemeinsame Vergangenheit hier öffentlich zum Thema zu machen, deshalb spiele ich ihr
Spiel mit, auch wenn ich mich jetzt irgendwie besonders beobachtet fühle.
Ich schlucke den Keks hinunter und starte mit der Präsentation |122| – den Vorbereitungen und äußeren Umständen entsprechend nicht gerade aus der Pole-Position, sondern eher aus den hinteren
Reihen. Der Kampf um die vorderen Plätze erfolgt außerdem unter erschwerten Bedingungen, denn Lydia bemüht sich nach Kräften,
mich aus dem Konzept zu bringen. Und dies ist mal wieder ein Beispiel dafür, dass sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz immer
häufiger auch auf Männer stattfinden.
Nur reden die nicht dauernd darüber.
Es gäbe auch sicher keine uncharmantere Art, den Junior aus seinen Träumen zu reißen, als ihn davon in Kenntnis zu setzen,
dass sich in diesem Augenblick der Fuß seiner Ehefrau, samt Stiletto, den Weg in meinen Schoß bahnt. Etwas angeheizt und dementsprechend
verunsichert, ziehe ich es daher vor, meine Show im Sitzen fortzuführen – was dummerweise dazu führt, dass ich in regelmäßigen
Abständen komplett hinter der jeweiligen Präsentationspappe verschwinde.
Und während ich unbeirrt weiter aus dem Nirwana zu meinem Publikum spreche, versuche ich verzweifelt, unter dem Tisch Schlimmeres
zu verhindern. Gar nicht so einfach, wenn man nicht den Eindruck erwecken möchte, man würde sich eineinhalb Stunden unaufhörlich
am Sack kratzen.
«Wie schätzen Sie den Erfolg im ersten Quartal nach Einführung des Produktes in Bezug auf die angesprochenen Zielgruppen ein,
und wie sollte sich unser Auftritt am Point of Sale im Detail von dem der Konkurrenz unterscheiden?», bohrt Lydia nun auch
oberhalb der Tischplatte.
Mir wird so heiß wie einem Pommesstäbchen in der |123| Fritteuse. Aber um nicht dem Wunsch zu erliegen, mir das Sakko vom Leib zu reißen, beschwöre ich Bilder des eingeschneiten,
frierenden, von Eiszapfen am Bart gepeinigten, aber dennoch optimistisch dreinblickenden Reinhold Messner vor mein geistiges
Auge.
«Äh … Auf einzelne Fragen», ich blicke bemüht kompetent in die Runde, «und darauf, was sonst noch anliegt» – strenger Blick zu
Lydia –, «würde ich gern erst im Anschluss an die Präsentation eingehen.» Den Satz presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen
hervor, damit ich nicht aus Versehen lustvoll losstöhne.
Nach etwa einer weiteren halben Stunde und einem Frage-Antwort-Schusswechsel zwischen Lydia und mir gehe ich – zu meiner eigenen
Überraschung – in jeder Hinsicht unverletzt aus dem Gefecht hervor. Zwar erwarte ich keinen tosenden Applaus, aber doch zumindest
ein spontanes Vertragsunterzeichnen, schließlich dürfte Lydia zufrieden sein und somit die Familie ebenfalls.
«Sie werden verstehen, dass wir Ihnen noch keine verbindliche Zusage machen können.» Madame Cremand weiß, wie man einen Fisch
am Haken zappeln lässt. «Schließlich wollen wir uns für die beste Kampagne entscheiden, und heute Nachmittag dürfen wir immerhin
noch zwei Konkurrenten von Ihnen empfangen. Sie würden uns aber eine große Freude machen, wenn Sie mit uns das Mittagessen
einnähmen.»
Zwar habe ich spontan mehr Lust, einem Zweijährigen das Internet zu erklären, als mir vor den Augen der Eltern einen weiteren
Schlagabtausch mit Lydia zu liefern, aber ich bin nun mal
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