Keine Angst vor Anakondas
gerannt, hatten keine Chance.
Uwe Müller und der Bulle haben sich am Ende sogar noch angefreundet: Am letzten Tag sitzt er nur ein paar Meter von den Flusspferden entfernt und fängt schöne Details ein.
»Das ist ja ein Ding, ich kenne eine ganz ähnliche Geschichte«, erklärt Jörg. »Da ist so ein Großmaul von Flusspferd auf Thoralf Grospitz, von dem ich gerade die Elefanten-Landrover-Geschichte erzählt habe, losgestürmt. Der hat dann ebenso seine Klappe aufgerissen, ein Riesentrara veranstaltet und ist wieder von dannen gewackelt. Mordabsichten sehen anders aus.
Kennst du übrigens Oliver Goetzl und Ivo Nörenberg? Zwei Moschusochsen sind mal völlig unerwartet auf sie zugerollt. Die beiden Tierfilmer dachten, im dichten Gestrüpp wären sie sicher. Pustekuchen, die Moschusochsen sind da voll durchs Gestrüpp gewalzt. Den beiden blieb nichts anderes übrig, als schleunigst fortzulaufen. Die waren um die Erfahrung reicher, dass Tiere schon mal einfach nur in Ruhe gelassen werden wollen. Das ist nicht gerade die Stärke von uns Zweibeinern. Mensch, wir sind ja auch gerade in unmittelbarer Nähe eines wilden Tieres. Schau mal, als ob die Anakonda Gedanken lesen kann, sie beginnt sich zu entrollen!«
6
Messerscharfe Argumente
04:15 Uhr
Blätter rascheln. Die Anakonda bewegt sich. Trotz ihres Stoffbeutels über dem Kopf entrollt sie sich langsam und kriecht in Richtung Fluss. Wir springen sofort auf.
Jörg: »Jetzt bist du dran mit Handauflegen.«
Ich nähere mich dem Kopf von hinten und lege meine Hand auf den Hinterkopf der Riesenschlange. Ein mulmiges Gefühl macht sich in mir breit. Sicherer wäre es, den Nacken zu umfassen. Aus Erfahrung weiß ich, wie schnell Schlangen ihren Kopf drehen und zubeißen können. Die Anakonda zuckt zurück und rollt sich wieder zusammen. Bei ihrer Bewegung bringe ich meine Hand rasch außer Reichweite.
»Noch ein Mal, damit sie wieder Ruhe gibt!«, fordert mich Jörg auf. Ich lege meine Hand erneut auf ihren Kopf. Erstaunlich, die Anakonda reagiert kaum. Eine Weile stehen wir noch um sie herum, dann setzen wir uns wieder hin.
»Willst du noch einen Kaffee?«, fragt mich Jörg.
»Gerne.«
Pulverkaffee und Zucker rieseln in unsere Becher, dann kippt Jörg Flusswasser darüber. Ich schaue zu. Er rührt das Gebräu in beiden Bechern um und reicht mir meine Tasse.
»An Mineralienmangel dürften wir auf dieser Expedition kaum leiden.« Ich spiele auf das ungefilterte Flusswasser an, das wir schon seit Wochen trinken. Schon vor der Expedition wussten wir, dass in den Booten kein Platz für Trinkwasser sein wird. Uns bleibt nichts anderes übrig, als mit dem Wasser aus dem Strom unseren Durst zu löschen. Nach ergiebigen Regengüssen stieg der Pegel an, und Schwebstoffe färbten das Wasser hellbraun. Immerhin, geschmacklich verändert hat sich die braune Brühe dadurch nicht.
Im Gegensatz zu den Indianern benutzen wir aber ein Mittel zur Entkeimung unseres Trinkwassers. Es gibt zwar keine menschlichen Krankheitserreger im Fluss, aber was will das schon heißen. Fische, Kaimane, Wasserschweine, Tapire und praktisch der ganze Rest des Dschungels geben ihre Ausscheidungen in den Fluss. Somit tummelt sich deren Mikrofauna in Form von Bakterien, diversen Würmern und anderen Parasiten im Wasser. Es gibt keine Garantie, dass nicht einige dieser Viecher nur darauf lauern, in unseren Verdauungstrakt zu schlüpfen und uns zu besiedeln.
»Hast du schon einmal darüber nachgedacht, welche Bedeutung der Fluss für uns hat?«, fragt Jörg.
»Aber natürlich, die Anakondas leben hier«, antworte ich.
»Ja klar, aber das meine ich nicht. Wir fahren auf ihm, trinken sein Wasser, baden in ihm, und ernähren tut er uns auch.« Fleisch haben wir nicht mitgenommen. Doch der Fluss ist voller Fische, und die Indianer wissen genau, wie sie die fangen. Zum Glück mag ich gerne Fisch, denn fast täglich verspeisen wir welche. Darunter war auch ein Wolfsfisch von gut 30 Kilogramm, den wir nur mit einer dicken Nylonschnur, einem Haken und einem Stück Fisch als Köder fingen und den die Indianer räucherten. Eine unerwartete kulinarische Delikatesse.
Stille. Dann sagt Jörg: »Es ist unheimlich, im Fluss zu baden und die Boote durch die Stromschnellen zu ziehen, bei dem, was da alles drin ist: Piranhas, Kaimane, Stachelrochen, Anakondas, Zitteraale. Warum beißen und zerfetzen uns die Piranhas eigentlich nicht, wenn wir im Fluss sind?«
»Weil die Fischfresser sind«, antworte ich. »Es
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