Keine Angst vor Anakondas
der großen Seeschlange hatte, blieb Andreas Kieling verwehrt. Für die Serie Die Letzten ihrer Art reiste er auf eine indonesische Insel. Er filmte Komodowarane weit entfernt von menschlichen Siedlungen. Gerade wusch er sich, über einen Fluss gebeugt, das Gesicht. Da schnellte plötzlich eine kleine Seeschlange aus dem Wasser und biss ihm hinein. Vermutlich war sie ungewollt von ihm erschreckt worden. Angriffe können so plötzlich vonstattengehen, dass keine Zeit zum Denken oder Handeln bleibt. Er war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Nach dem Schlangenbiss wurde seine Muskulatur schwächer und seine Atmung flacher. Es gab keinen Funkkontakt, um medizinische Hilfe herbeizuholen. Kieling war auf sich allein gestellt. Er verhielt sich den Umständen entsprechend richtig, bewahrte Ruhe und vermied Panik. Erst nach zwei Tagen hatte er die Giftattacke überstanden. Andreas Kieling hat Glück gehabt, dass die kleine Seeschlange bei ihrem Biss nur wenig von ihrem Gift injizierte. Ansonsten hätte er den Biss nicht überlebt.
Als Nächstes fängt Steve nachts Schnabelseeschlangen mit einem Kescher von der Meeresoberfläche. Sie sollen zur Gewinnung von Antiseren gemolken werden. Über 90 Prozent aller tödlichen Bisse durch Seeschlangen weltweit gehen auf ihr Konto. Besonders für Fischer sind sie eine tödliche Gefahr, wenn sie sich in deren Netzen verfangen haben. Steve fasst sie am Schwanz und hält die zappelnden Schlangen in die Luft. Einen Grund für Steves fahrlässiges Handeln gibt es nicht, außer dem medienwirksamen Spiel mit der Gefahr. Wieder hantiert er mit den giftigsten Schlangen in kurzer Hose. Sein Khaki-Anzug ist nun mal sein Markenzeichen, ob nun an Land oder im Wasser. Immerhin trägt er feste Schuhe.
Schlangenwirbel
Wenn ich Steve Irwin im Fernsehen dabei zuschaute, wie er im Gelände Schlangen fing, kam ich öfters um ein breites Grinsen nicht umhin. Nicht nur, weil er mit unglaublichem Enthusiasmus dem Zuschauer spannende Details über die soeben gefangene Schlange vermittelte. Ich grinste, weil er noch eine hochgiftige Schlange in der Hand hielt und während des Erzählens bereits die nächste Schlange entdeckte, auf die er sich sofort stürzte und sie gekonnt durch die Luft wirbelte. Ein Zufall? Auf mich wirkten die Schlangen in seinen Filmen gelegentlich unnatürlich zahm oder wie vor seine Füße gelegt. Meine eigene Erfahrung legt nahe, dass da nachgeholfen wurde. Schlangen, die schon in Menschenhand waren, sind an den Menschen gewöhnt und zeigen viel weniger Abwehrverhalten. Vor allem aber muss die Situation näher betrachtet werden. Wenn Steve eine Schlange präsentiert, stehen vermutlich fünf bis zehn Leute der Filmcrew um ihn herum. Da hätte sich jedes Tier längst vom Acker gemacht oder wäre zuvor entdeckt worden.
Ich bin der Meinung, dass man Steve mit einem Augenzwinkern nicht weiter übelnehmen sollte, wenn es vorkam, dass Schlangen zuvor für ihn platziert worden waren. Zumindest, wenn die Arten auch wirklich in dem Gebiet vorkommen. Steves Serien sind nicht als Tierdokumentationen angelegt. Das ist einfach zu durchschauen. Anders sieht es aus – dieses Vorgehen ist mir allerdings von Steve nicht bekannt –, wenn in einer ernst zu nehmenden Dokumentation Tiere gezeigt werden, die in dem Gebiet überhaupt nicht vorkommen. Aus zoologischer Sicht ist es einfach nur ärgerlich, wenn beispielsweise eine Unterart der Regenbogenboa im Film auftaucht, die definitiv nicht in das gezeigte Gebiet gehört. Das führt zu Fehlern in der öffentlichen Wahrnehmung, die kaum noch auszurotten sind.
In Steves Serien werden keine Tiere aus einem Versteck heraus in ihrem Alltagsleben gefilmt. Steve geht zu den Tieren hin und schnappt sie sich. Dieses Vorgehen mag nicht nach jedermanns Geschmack sein, doch seine Fangemeinde, die durch ihn an die Natur und die Tiere herangeführt wird, ist riesig. Es zeugt von einem undifferenzierten Umgang mit ihm, seine Aktionen nur einseitig zu betrachten und ihn weder als Menschen noch als Naturschützer wahrzunehmen. Ich verstehe sein Schaffen und seine Serie als zoologische Show. Spielerisch lernt der Zuschauer, getragen von Steves Verrücktheit, etwas über das Leben der nicht immer geliebten Reptilien kennen. So gesehen ist er ein missionarischer Pädagoge mit besten Absichten. Als eines seiner Krokodile im Zoo starb, weinte Steve hemmungslos in die Kamera hinein: Er hatte es, seiner eigenen Aussage nach, so sehr geliebt wie seine Frau. Das
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