Keine große Affäre
sie
ungeduldig, konnte aber ein Lächeln nicht unterdrücken. Wie konnte jemand
vierzig geworden sein, ohne Der Pate gesehen zu haben? Von Massenkultur
hatte Stephen absolut keine Ahnung.
»Wieso gehst du nicht zu Lia?« fragte
er, als er spürte, daß ihre Stimmung sich ein wenig besserte.
»Ich bezweifle, daß den beiden Bens
Gebrüll gefallen würde«, sagte sie.
»Wahrscheinlich schläft er bereits auf
der Autofahrt dorthin ein. Wie schon einmal.«
»Glaube ich nicht«, sagte sie. »Hör
zu, mach dir keine Sorgen. Ich komme schon zurecht.«
»Soll ich dich um zwölf anrufen?«
»Falls er bis dahin eingeschlafen ist,
kann ich für nichts garantieren.« Alison seufzte. »Egal — wir sind schließlich
erwachsene Menschen. Ehrlich gesagt, bleibe ich wahrscheinlich gar nicht bis
Mitternacht auf, wenn ich ihn bis dahin zum Schlafen kriege.«
»Ich mache es wieder gut.«
»Das wirst du ganz bestimmt«, lachte
sie. »Ich habe mir schon ausgesucht, was ich im Harrey-Nicks-Schlußverkauf
haben will.«
»Ich kaufe es dir in allen Farben«,
sagte er.
Es rührte sie, daß er sich daran
erinnerte, was sie einmal über ein Kleidungsstück gesagt hatte. Es hatte ihr so
gut gefallen, daß sie es sich am liebsten in allen Farben gekauft hätte. Stephens
präzises Gedächtnis für Details war ein Teil seines Charmes.
»Ich liebe dich«, sagte sie, weil sie
ihn plötzlich wirklich vermißte.
»Ich liebe dich auch«, sagte er zu
ihr. »Frohes neues Jahr!«
Sie legte den Hörer wieder auf die
Gabel und blickte lange Zeit darauf. Sie stellte sich vor, wie er am anderen
Ende der Welt in seinem Hotelzimmer auf dem Bett saß und dasselbe tat, und
fünfzehn Stockwerke unter ihm rumpelte der schwache Verkehrslärm der Park
Avenue.
Sie stand auf und ging zurück ins
Kinderzimmer. Vorsichtig nahm sie Ben von ihrer Schulter und ließ ihn fast
unmerklich in sein Bettchen herabsinken. Im selben Moment, als sein Gesicht das
kalte Laken berührte, wachte er wieder auf.
»Schlaf, mein Liebling«, flüsterte sie
und streichelte seinen Kopf.
Sein Gebrüll schnitt durch den Kokon
der Ruhe, den das Gespräch mit Stephen um sie gesponnen hatte.
»Schlaf jetzt bitte.« Ihre Stimme
wurde flehend. »Ach, Halt den Mund «,
schrie sie dann so laut wie das Baby und war sofort von Scham erfüllt, als sie
sich selbst hörte.
Es hatte keinen Zweck. Sie verließ das
Kinderzimmer und versuchte die Fassung wiederzugewinnen. Vielleicht war
Stephens Idee mit dem Auto gar nicht so blöd. Das einzige, was gegen einen
Besuch bei Lia sprach, war die Panik, die sie überkam, sobald sie Neil sah,
aber das war einfach lächerlich. Sie waren beide erwachsen, hatten Jobs und
Verpflichtungen und lebten in glücklichen Beziehungen mit Partnern, die zu
ihnen paßten. Das einzige, was sie gemeinsam hatten, waren gleichaltrige Kinder
und eine Teenagerromanze, die seit zwanzig Jahren vorbei war. Es war ein Fehler
gewesen, bei ihrem ersten Zusammentreffen nicht sofort reinen Tisch zu machen,
aber es war idiotisch, einen einzigen Fehler zu einer unkontrollierbaren
Spirale aus Furcht werden zu lassen. Wenn man keine Angst mehr haben wollte,
mußte man sich mit ihr konfrontieren. Es war Silvester, und ihr guter Vorsatz
fürs neue Jahr würde lauten, keinen Gedanken mehr an die Vergangenheit zu
verschwenden, sagte sie streng zu sich selbst. Dann nahm sie, ohne lange zu
fackeln, den Hörer ab und wählte Lias Nummer.
»Hallo?« Neil war am Apparat.
»Oh, hi! Hier ist Alison, ähm...«
»Ich hole Lia.«
»Nein, warte«, sagte sie. Sie wollte
ihm die Chance geben, sie abzuwimmeln. »Ich hocke hier mit einem Baby, das ums
Verrecken nicht einschlafen will, und ich drehe noch durch. Ich weiß, es ist
spät, aber Lia hat gesagt...«
»Ja, komm ruhig rüber. Sie wird sich
über Gesellschaft freuen. Ich will grad in den Kricketclub und was trinken. Wir
haben geknobelt, wer weg darf«, sagte er und klang ungewöhnlich fröhlich. »Beim
ersten Mal hab ich verloren, aber wir dachten, drei Versuche wären fairer!«
Sie lachte. »Okay«, sagte sie und
legte auf.
Konfrontiere dich damit, sagte sie zu
sich selbst, sah in den Spiegel ihrer Frisierkommode und lächelte. Na also, das
war doch kurz und schmerzlos gewesen.
»Es ist kalt draußen. Ich habe ewig
gebraucht, bis das Auto endlich angesprungen ist«, sagte sie, als sie eine
halbe Stunde später über die Schwelle trat. Sie blickte über Lias Schulter, um
zu sehen, ob Neil schon weg war. Der Raum war leer. In der
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