Keine große Affäre
Prospekte
mitzunehmen, ganz so unschuldig gewesen waren, wie sie gerade behauptet hatte.
Er lächelte sie an. »Das ist ja noch
besser«, sagte er und stand vom Boden auf. »Macht es dir was aus, wenn ich
schnell mal im Club vorbeischaue? Da ist ein Typ, der sagt, daß er mir meinen
Tennisschläger neu bespannt.«
»Natürlich nicht«, antwortete Lia.
»Wenn du schon mal da bist, kannst du auch was trinken. Willst du danach
Abendbrot essen?«
»Wie wär’s, wenn ich uns Fish and
Chips mitbringe?« bot er an.
»Super!« sagte sie.
Er ging zur Tür.
»Neil?« sagte sie, als er sie öffnen
wollte.
Schnell drehte er sich um. »Ja?«
»Dein Schläger.« Sie deutete auf seine
Sporttasche, die unter der Treppe lag.
»Ach ja«, sagte er und schnappte sie
sich.
Er verstand nicht, wie manche Leute
ständig neue Lügen erzählen und sich trotzdem normal verhalten konnten. Wie
behielten sie den Überblick? Eine Lüge führte so schnell zur nächsten, und
bevor man sich versah, hatte man eine neue Welt kreiert, wie eine dieser
virtuellen Welten, von denen die Schüler am Morgen nach Tomorrow’s World immer sprachen. Er wollte doch nur telephonieren, aber jetzt, wo er gesagt
hatte, er ginge in den Club, sollte er es auch besser tun, denn sie könnte ihn
fragen, wer sonst noch dagewesen wäre. Und obwohl sein Schläger gar keine neue
Bespannung brauchte, sollte er es lieber machen lassen, denn er hatte eben fast
gepatzt, und Lia war manchmal ungeheuer scharfsinnig, was die Gedankengänge
anderer Leute betraf. Er spielte mit dem Feuer. Es war ironisch, dachte er,
denn der Anruf, den er nicht von zu Hause aus erledigen wollte, würde es
beenden. Es mußte aufhören. Sofort. Er gehörte zu Lia und dem Baby. Er war kein
Lügner.
Das Telephon war im Gang neben dem
Zigarettenautomaten. Er stand da, starrte auf den goldenen
Benson-and-Hedges-Turm und überlegte, was er sagen sollte. Er wollte gerade den
Hörer abheben, als der Kapitän des ersten Kricketteams vorbeikam.
»Dachte, du hättest aufgehört,
Kumpel«, sagte er und blieb stehen, um ein paar Worte zu wechseln.
»Das habe ich auch weitgehend«, sagte
Neil, warf drei Pfundmünzen in den Schlitz und zog fest an der Schublade am Fuße
des Marlboro-Turms.
Wieder eine Lüge, um eine andere zu
decken. Da niemand merken sollte, daß er telephonieren wollte, fühlte er sich
gezwungen, die Zigaretten zu ziehen, und er hatte auch nicht mit Rauchen
aufgehört. Statt dessen hatte er eine noch teurere Methode entdeckt: Er hatte
den Überblick verloren, wie viele Schachteln er gekauft hatte, um dann nur noch
eine Zigarette zu rauchen, bevor er ganz damit aufhörte. Aus einer wurden
normalerweise zwei oder drei, und dann warf er den Rest angewidert weg.
Zitternd nahm er eine Marlboro heraus und steckte sie in den Mund. Von dem
Kapitän, der auf dem Weg zurück in die Bar war, ließ er sich Feuer geben. Er
nahm einen langen Zug und wählte die Nummer.
»Sie ist im Moment nicht zu Hause«,
informierte ihn eine junge weibliche Stimme. »Sie ist auf einer Party. Kann ich
ihr was ausrichten?«
»Nein«, sagte er hastig. »Nein danke!«
Er legte auf.
Was für eine Party? Sie hatte ihm
nichts von einer Party erzählt. Er stellte sich Alison vor, wie sie mit einem
Glas Wein in der Hand lachend in einem Raum voller Männer stand, die sie
anstarrten und sich ausmalten, was sie unter dem schicken, bis oben hin
zugeknöpften schwarzen Kostüm trug. Rasend vor Eifersucht starrte Neil auf das
Telephon. Dann schlug er gegen die schäbige, mit Glanzlack gestrichene Wand.
Das nächste Mal trafen sie sich an
einem Samstagnachmittag. Sie hatte das Federbett bezogen, mit einem nagelneuen
Bezug, dessen Falten von der Verpackung immer noch steif waren. Es sah aus wie
ein wunderbares großes, gelb-weiß kariertes Tischtuch.
»Ich fühle mich fast gezwungen zu
picknicken«, sagte er und setzte sich auf.
»Gefällt es dir?« fragte sie ihn und
kuschelte sich in seine Armbeuge.
»Es ist ganz annehmbar«, sagte er
unverblümt. In seinem Kopf ging eine Alarmanlage los.
Sie durften sich kein Nest bauen. Das
war verboten. Sie durften keine Beziehung haben, keine Affäre, was es auch war,
erinnerte er sich selbst. Sie durften sich nicht lieben. Aber als er auf ihr
Gesicht herabsah und erkannte, daß er ihr durch seine schroffe Bemerkung über
den Bettbezug weh getan hatte, wußte er, daß das unmöglich war. Er konnte nicht
aufhören, sie zu lieben. Es lag in seinen Genen. Er hatte Blutgruppe
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