Keine Lady fuer Lord Strensham
und ein ganzes Meer trennte ihn von seiner reizenden Gattin. Nur so durfte er hoffen, die Nacht zu überleben, ohne sich zu blamieren, indem er das arme Mädchen weckte und es anflehte, ihn zu erhören.
Als Thea am nächsten Morgen aus tiefem Schlaf erwachte, wusste sie zuerst nicht, wo sie war. Dann fiel es ihr wieder ein, und sie stellte mit leiser Missbilligung fest, dass Marcus sich bereits vom Bett erhoben hatte. Die ganze Nacht hatte er keusch neben ihr gelegen. Dass ihm das so wenig Mühe bereitete, bedeutete eine zu große Demütigung. Thea hätte sich so gewünscht, eine wirkliche Hochzeitsnacht mit ihm zu verleben. Flüchtig fragte sie sich, ob sie womöglich in Marcus verliebt war.
Was Marcus anging, so liebte er sie sicher nicht. Die letzte Nacht hatte das bewiesen, und er selbst verhehlte ihr ja im Grunde nicht, dass er nur eine Vernunftehe mit ihr eingegangen war. Thea holte tief Luft. Sie würde auf keinen Fall so tief sinken wie jene armen, traurigen Frauen, die sich wie Kletten an ihre gleichgültigen Gatten klammerten. Also spielte es auch gar keine Rolle, ob sie Marcus liebte oder nicht.
Nachdem sie diesen wichtigen Punkt für sich geregelt hatte, frühstückte sie und machte sich auf, ihr neues Heim im Licht des Tages zu erkunden. Im Garten breitete sich überall Unkraut aus und bedeckte sogar bereits die unbenutzten Pfade. Wuchernde Sträucher und Heckenrosen taten ein Übriges, dem Garten das Aussehen eines Urwalds zu verleihen. Eigentlich hätte es ein trauriger Anblick sein müssen, aber der verwilderte Hintergrund schenkte dem Herrenhaus eine gewisse Anmut. Es war ein einschüchterndes Gebäude mit seiner beeindruckenden Tudor-Fassade und den klassizistischen Anbauten. Doch es besaß nichts von der frostigen Pracht, die Thea insgeheim befürchtet hatte. Sie konnte verstehen, warum Marcus bereit gewesen war, so große Opfer dafür zu bringen. Allerdings hoffte sie mit einer Inbrunst, die sie selbst überraschte, dass er die Heirat mit ihr nicht bereute.
„Vielleicht legen Sie besser ein etwas älteres Kleid an, Mylady“, schlug Mrs. Barker später vor, da Thea sich von ihr durch das Haus führen lassen wollte.
„Alle meine alten Kleider habe ich fortgegeben, als ich meine neue Garderobe bestellte“, erklärte sie. Nicht auszudenken, was die ehrbare Dame wohl gesagt hätte, wenn ich in Hettys alten, abgenutzten Sachen erschienen wäre, überlegte Thea. „Dieser Stoff lässt sich gut auswaschen.“
„Wie Sie wollen, Mylady.“
Es entging Thea nicht, dass selbst der neuere Flügel zwar gemütlich, aber leicht schäbig wirkte. Der ältere Teil des Hauses war jedoch voller Staub und Spinnweben. Es herrschte hier so tiefe Stille, als wäre die Zeit in früheren, glücklicheren Jahren stehen geblieben.
„Der letzte Viscount ordnete an, den Tudorflügel abzusperren, als seine Frau vor vielen Jahren im Kindbett starb“, erklärte die Haushälterin verlegen.
„Was für eine traurige Verschwendung.“
„Der alte Herr hat Mr. Julius nie vergeben, dass seine Mutter bei seiner Geburt starb.“
„Armer kleiner Junge. Marcus’ Vater tut mir sehr leid, selbst wenn er später ziemlich rücksichtslos gewesen ist.“
„Ach, der alte Lord war ein guter Mensch, Mylady, aber der Kummer veränderte ihn. In den folgenden fünfzig Jahren seines Lebens schaute er nie eine andere Frau an. Nachdem er Master Julius von Anfang an falsch behandelt hatte, war es wohl zu spät, die Dinge wieder einzurenken. Doch seine Tochter und Master Julius’ Kinder liebte er abgöttisch. Miss Lavinia wurde mit ihrer gesamten Familie während jener entsetzlichen Revolution in Frankreich getötet. Der Schock war so groß für ihn. Wir fürchteten alle, er würde es nicht überleben.“
Sie schüttelte traurig den Kopf und war wohl im Begriff, die rührenden Familiengeschichten weiter auszuspinnen, wurde aber unterbrochen, als feste Schritte auf den staubbedeckten Steinfliesen ertönten und die Schatten der Vergangenheit vertrieben.
„Marcus!“, rief Thea erfreut. Die düsteren Gedanken von heute Morgen waren vergessen. „Ich dachte, du bleibst länger fort. Man sagte mir, du seiest mit deinem Verwalter unterwegs.“
„Ich bin ihm entwischt, aber er wird mich wohl bald ausfindig machen und streng an meine Pflichten gemahnen, wenn du dich nicht meiner erbarmst und mir Zuflucht vor ihm gewährst.“
„Unsinn. Du schaffst es sehr gut allein, jemandem die Stirn zu bieten.“
Trotz ihres brüsken Tons klopfte
Weitere Kostenlose Bücher