Keine Pizza für Commissario Luciani
Öl und eine Birne.«
Der Arzt betrachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen. »Wie lange waren Sie schon gelaufen?«
»Ich war fast durch mit dem Programm, so bei Kilometer sechzehn.«
»Sechzehn Kilometer mit einer halben Portion Pasta und einer Birne? Wollen Sie sich umbringen?«
»Nein, ich esse nun mal wenig. Sehen Sie? Ich bin dünn. Aber es geht mir gut.«
»Entschuldigen Sie, ich bin selbst Läufer, ich laufe Halbmarathon und manchmal auch einen ganzen Marathon. Sie dürften, so
über den Daumen gepeilt, sechzig Kilo wiegen, bei fast zwei Meter Körpergröße, und Sie haben nicht das kleinste bisschen Fettgewebe.
Wenn der Körper kein Fett und keinen Zucker mehr verbrennen kann, dann frisst er sich selbst auf. Er verbrennt Muskelmasse.«
Marco Luciani lachte höhnisch auf. »Sagen Sie das mal den Radfahrern, dass Fettgewebe nützlich ist. Die tun alles, um es loszuwerden.«
»Sicher, die Radfahrer sind schnell. Und wissen Sie, wie sie das bewerkstelligen? Sie dopen sich. Dopen Sie sich auch?«
»Ich? Das fehlte noch!«
»Also, dann legen Sie sich wieder hin, bevor Sie noch mal umfallen. Und Sie stehen nicht auf, bevor Sie nicht diese ganze
Infusion im Leib haben.« Er schob ihm ohne viel |113| Federlesens eine Kanüle in den linken Arm, öffnete den Hahn und kontrollierte den Tropfenfluss. »Ich komme in einer Stunde
wieder. Schlafen Sie ruhig, das wird Ihnen helfen, wieder zu Kräften zu kommen.«
Er wollte auf keinen Fall mit dem Rettungswagen transportiert werden, und so stieg er mühsam, Schritt für Schritt, die Straße
nach Camogli hoch. Genau so würde er es auch beim Marathon machen: Meinetwegen krieche ich auf allen vieren, sagte er sich,
aber ich werde ins Ziel kommen. Ihm war jedoch klar, dass er nicht bei jedem Lauf kollabieren konnte. Er ging auf dem Zahnfleisch,
und vielleicht sollte er sich doch, zumindest ein, zwei Wochen lang, an die Ratschläge der Wunderheilerin halten. Oder sich
wenigstens zwingen, ein bisschen mehr zu essen, ohne sich danach ins Bad einzuschließen, um alles wieder auszuspeien. Als
er den Torbogen am Rand des Dorfes passierte, dachte er, ein paar Proteine würden ihm guttun. Aufs Geländer gestützt, ging
er die wenigen Stufen hinunter zum Fischgeschäft, wo er auf der Schwelle stehen blieb.
Marcella empfing ihn mit dem gewohnten Lächeln, das nur leicht überschattet war.
»Gibt es Neuigkeiten in Sachen Marietto, Commissario?«
»Was soll es schon für Neuigkeiten geben? Das ist leider immer wieder dieselbe traurige Geschichte …«
»Was sagt denn die Autopsie, wenn man fragen darf?«
»Sie müsste heute Vormittag durchgeführt werden. Während der Feiertage waren alle ausgeflogen. Erwarten Sie aber nicht wer
weiß welche Erkenntnisse.«
Marcella schüttelte den Kopf. »Tss. Die Geschichte überzeugt mich gar nicht. Marietto war nicht der Typ, der sich umbringt.
Er war aufbrausend, manchmal richtig streitsüchtig, aber nicht depressiv.«
|114| »Niemand ist der Typ, der sich umbringt. Bis er es eines Tages doch tut.«
»Und vor allem«, sagte Marcella, als hätte sie gar nicht zugehört, »bringt sich ein Fischer nicht im Meer um. Dazu hat er
viel zu viel Respekt davor.«
Marco Luciani seufzte. Das Alter konnte auch die heitersten Gemüter niederdrücken. Wenn einer vom Charakter her sowieso schon
ein Einzelgänger, kompromisslos und kleinlich war, was sollte aus dem dann erst mit achtzig werden? Das Alter muss man bekämpfen,
solange man noch jung ist, dachte er.
»Also, was bekommen Sie, Herr Kommissar?«
»Geben Sie mir eine Brasse, Marcella. Die größte und schönste, die Sie haben.«
|115| Neunzehn
Ranieri
Ein Jahr zuvor
Ludovico Ranieri saß in der Bibliothek und durchforstete den Mikrofilm des »Messaggero«. Er hatte mit seiner Recherche im
Jahr 1963 angesetzt und wollte sich wenigstens bis ins Jahr 1975 vorarbeiten, so würde er auf keinen Fall das entscheidende
Datum auslassen. »Vor vierzig Jahren«, hatte sein Vater bei der Beichte gesagt, aber so eine runde Zahl sollte man einigermaßen
flexibel auslegen. Vor ungefähr vierzig Jahren war die Statue in Ventotene gefunden worden, und um sie zu bekommen, hatte
sein Vater einen Menschen umgebracht. Das waren die einzigen Hinweise, über die er verfügte, und theoretisch konnte es auch
sein, dass sie nirgendwo hinführten. Aber es war auf jeden Fall die Mühe wert, in den Zeitungen von damals nach Spuren zu
suchen, die vielleicht
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