Keine Vergebung: Kriminalroman (German Edition)
ohne dabei einen einzigen Pommes aus der Pappschachtel zu verlieren.
Im Näherkommen sah er ihr Gesicht. Sie drehte sich zur Straßenlaterne neben dem Imbiss, durchsuchte ihren Geldbeutel.
Hübsch. Großer Mund. Die Nase war sicher mal gebrochen gewesen, aber das machte sie noch interessanter.
Spießi stand ein bisschen genervt hinterm Tresen. Merten war nicht oft genug hier, um von Spießi als Stammgast betrachtet zu werden, aber der Grillmeister ließ zumindest immer erkennen, dass er Mertens Nase nicht zum ersten Mal sah.
»Grüß dich.«
»Grüß dich, Spießi.«
Merten sah die Frau an. Drauf geschissen, heute kam es auf einen Kick in seine Eier auch nicht mehr an.
»Kann ich dir helfen?«
Ihr Kopf schoss herum. Mann, hatte die Dampf.
»Wohow!« Merten hob beide Hände. »Langsam. Ist nur ’ne Frage. Kein blöder Spruch.«
Spießi lachte.
»Der Herr ist Polizist. Da müssen Se sich nix denken.«
Sie sah ihn interessiert an.
»Bulle? Echt?« Die Stimme. Sie kam ihm so vertraut vor, so nah. Dieser Tag war voller Unglaublichkeiten. Grausamen und schönen.
Merten nickte, Spießis Gequatsche ließ ihm keine Wahl.
Sie lächelte, ihr linkes Auge bekam einen nervösen Tick.
»Ist total blöd, aber mir fehlen tatsächlich zwei Euro fünfzig.« Sie zeigte auf eine vollgepackte Tüte.
Merten nahm den Fünfer und gab ihn Spießi.
Der kramte nach Wechselgeld.
Ihre harten blauen Augen bekamen einen matten Glanz.
»Danke. Ist ja supernett.«
»Die Polizei, dein Freund und Helfer.«
»Ja, stimmt.« Sie lächelte schief. »Wie soll ich das … na ja, weißt schon.«
Merten schaltete die Welt aus. Er schob mit Macht sein ganzes Leben, seine Ängste und seine Zukunft auf die Seite, schnappte sich eine Serviette und zog einen Kuli aus der Jacke.
»Ruf an, wenn du Bock hast.«
Sie nahm die Serviette, las die Nummer noch mal vor. Merten nickte.
Sie griff sich die Tüte und wollte losgehen. Aber plötzlich beugte sie sich vor und gab Merten einen Kuss. Ihre Lippen waren weich und schmeckten nach Pfefferminzkaugummi. Merten schloss die Augen. Für einen Sekundenbruchteil spürte er ihre Zungenspitze, es rauschte in seinen Ohren. Das Nächste, was er hörte, waren schnelle Tritte auf Asphalt.
Spießi lachte glucksend.
»Na, du bist mir ja en Ordnungshüter. Willste noch was?«
Merten guckte auf die Preisliste.
»Rostwurst. Mit Senf.«
Der Tag hatte also doch noch was Gutes gehabt.
»Ich möchte Ihnen zuerst sagen, dass wir alle Vorstellungs- und Verabschiedungsrituale hintanstellen.«
Die Beamten der Kriminalpolizeiinspektion waren vollzählig im Konferenzraum versammelt. Steffen Kindler trug einen perfekt sitzenden dunkelblauen Anzug, ein hellgraues Hemd und eine schmale, bordeauxrote Krawatte. Mittelgroß, sehr schlank, kurze, leicht graumelierte Haare, modische Koteletten. Gesunde Bräune und männliche Lachfalten, graublaue Augen.
Grewe war erstaunt, dass er all das wahrnahm. Es interessierte ihn sonst außerhalb ermittlungstechnischer Erfordernisse überhaupt nicht, was andere Männer anhatten oder wie sie aussahen.
Er beobachtete Kindler, taxierte ihn. Wieso?
Weil er der neue Chef war? Weil Grewe nicht der Chef geworden war? Weil er ihm misstraute?
»Kollegen durch Gewalt zu verlieren, das gehört zu den härtesten Schlägen, die man in unserem Beruf erleiden kann. Diese Täter dingfest zu machen, ist unser Job. Aber es ist auch eine Chance, mit dem Verlust fertigzuwerden. Den Hinterbliebenen ein wenig von ihrem Schmerz zu nehmen.«
Grewe sah sich unauffällig um. Die Kollegen hörten aufmerksam zu. Kindler machte das gut, keine Frage. Grewe wäre es ähnlich angegangen.
»Ich sage es mal klar und deutlich, wir sind hier unter uns. Wir wollen jeden Täter kriegen, aber diesen oder diese wollen wir so sehr kriegen wie kaum je andere. Das ist ja wohl klar.«
Es entstand Bewegung. Räuspern, Zustimmung, aber konzentriert und leise. Ja, Kindler war sehr gut, dachte Grewe. Aber gut reden war nur das eine.
»Und ich weiß, dass jeder von Ihnen jetzt nichts anderes möchte, als an dieser Ermittlung zu arbeiten, das ist auch völlig verständlich.«
Kindler ließ den Blick über die Gesichter schweifen und nickte dazu langsam.
»Aber, und das sind wir unserem Berufsethos schuldig, wir werden diese Ermittlung nicht anders behandeln als jede andere auch. Weil wir jede Ermittlung in einer Todessache mit aller professionellen Hartnäckigkeit und mit allen Mitteln führen, die wir zur Verfügung
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