Keine Vergebung: Kriminalroman (German Edition)
lassen.
Lautlos glitt er hinter der Eibe nach rechts. Setzte in wenigen Schritten am Pool vorbei zu der riesigen Glastür. Er war in den letzten Wochen viele Male hier gewesen. Das Haus war durch modernste Sicherheitstechnik geschützt. Bewegungsmelder. Alarme an allen Türen und Fenstern. Und der Besitzer war bewaffnet und würde nicht zögern, diese Waffe zu benutzen. Das war seine Schwäche. Er verließ sich völlig auf sich und sein Gespür. Die Alarmeinrichtungen waren nur eingeschaltet, wenn er nicht im Haus war.
Gandalf schob mühelos die Tür auf und schlüpfte ins Haus. Blieb zwei Minuten stehen und lauschte. Dann schloss er die Tür. Blieb fünf Minuten stehen.
Ging mit ruhigen Schritten an der Sitzlandschaft vorbei, dem Kamin, der noch stark roch, und bog nach rechts ab. Durch den kurzen Flur und dann wieder rechts.
Er bewegte sich absolut sicher hier, es war nicht sein erster Besuch.
Die Tür des Arbeitszimmers war nur angelehnt. Er schob sich hinein, lehnte die Tür wieder an.
Natürlich war auch das Arbeitszimmer riesig. Der Besitzer mochte es groß und teuer. Wahrscheinlich hielt er es nur durch diese Neigung aus, dass er in seinem Beruf so grau und leer sein musste. So durchsichtig und doch undurchschaubar.
Ein Monstrum von Schreibtisch. Bücherregale voll ungelesener Werke, viele besondere Ausgaben. Die hatte seine Frau noch gekauft.
Sein PC war ein Gerät, das man auf dem freien Markt gar nicht kaufen konnte. Der Dienstherr bestand darauf, dass leitende Mitarbeiter zu Hause nur mit geprüftem und von den eigenen Spezialisten eingerichteten und gewarteten Geräten arbeiteten. Die Daten- und Telefonleitungen waren so sicher wie irgend möglich. Auf dem Tisch lagen Akten, die vermutlich gar nicht dort liegen durften. Hybris. Macht.
Gandalf schaute sich die Akten an, aber es war keine für ihn interessant. Dann kniete er sich neben die Tasche, die neben dem Schreibtisch stand. Ein äußerst exklusives Modell. Sehr teuer, aber von beeindruckend schlichter Eleganz.
Natürlich von seiner Frau gekauft, er benutzte sie immer noch.
Gandalf öffnete sie, checkte ihren Inhalt.
Dann griff er in seine Jackentasche, entnahm ihr ein Foto. Schaute es an. Lange.
Steckte es vorsichtig zwischen das kalbsledergebundene Filofax und einen Aktendeckel in der Tasche. Schloss die Tasche und beließ für einen Augenblick die Hand darauf.
Fünf Minuten später schlüpfte er aus dem Haus, huschte durch den Garten und sprang auf die Mauer. Mit einem weiteren Sprung verschwand er in der Dunkelheit.
9
G rewe saß in der Straßenbahn, die morgenmüde Stadt ruckelte vorüber. Er hielt einen Packen Papiere in der Hand. Gregor Humpert, der Pressesprecher der Polizeidirektion, hatte ihm gestern spät noch die vorbereitete Erklärung gemailt. Grewe hatte alle Angaben mit der aktuellen Ermittlungsakte abgeglichen, obwohl er genau wusste, dass Humpert in solchen Dingen niemals Fehler passierten.
Die lokalen und regionalen Medien hatten schon erste Meldungen draußen, und es hatte daraufhin Anfragen von überregionalen Journalisten gegeben. Erschossene Polizisten – das war noch ein Aufreger. Ein Schock. Das war noch nicht normal. Immerhin.
Für zehn Uhr war eine Pressekonferenz anberaumt. Grewe würde nur eine schnelle Fragerunde unter den Kollegen abhalten, ob es etwas Neues gab, und sich dann mit Humpert und Kertsch bei Kindler treffen. Alles durchsprechen.
Man musste sich heute wirklich gut vorbereiten auf solche Fragerunden mit Journalisten. Manche sendeten erste Kurzberichte noch aus der Konferenz per Smartphone an Agenturen oder Redaktionen. Da kriegte man nichts mehr eingefangen, was einem rausgerutscht war.
Modern Times.
Grewe lächelte. Schönes Album vom ollen Dylan. Hatte Stina ihm zum Geburtstag geschenkt. Und dass die Kinder auswärts übernachteten. Und. Ja. Und. Daran erinnerte er sich am liebsten. Grinste wie ein Honigkuchenpferd. Dylan und Sex.
»Ist der frei?«
Grewe rutschte schon zur Seite, bevor er überhaupt geschaut hatte, wer da stand.
»Ach Sie. Morgen.«
Der Junge aus der Leitstelle. Zingerle.
»Muss ich mir was auf die Hose legen, vorsichtshalber?«
Zingerle schüttelte den Kopf und lachte.
»Nein, echt nicht. Mir geht’s blendend. Echt super.«
Grewe nickte und dachte sich seinen Teil. Zingerle sah furchtbar aus. Leichenblass. Erschöpft. Aber tatsächlich grinste er. Mist, genauso musste er selbst gerade gegrinst haben. Vielleicht hatte der Junge einfach nicht geschlafen, sondern
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