Keine Vergebung: Kriminalroman (German Edition)
wehren, sauer auf Zingerle zu sein. Warum? Weil er so mit dem Löffel klapperte? Weil er nichts zu sagen hatte? Grewe hatte das Protokoll natürlich gelesen, Zingerles Aussage war sehr ausführlich gewesen. Er hatte nichts gemutmaßt, was er nicht wissen konnte, und war ansonsten in seinen Angaben absolut präzise gewesen.
Das Rühren konnte einen irre machen, vor allem weil er weder Zucker noch Milch in die Brühe getan hatte. Aber das war nicht der Punkt.
»Na gut. Ich wollte einfach nur mal selbst mit Ihnen sprechen. Ein bisschen Abstand verändert die Erinnerung. Meistens wird sie schlechter, aber manchmal auch besser, präziser. Oder man bewertet Dinge anders.«
Er sah Zingerle fast starr in die Augen. Der hielt den Blick und nickte dann. Eifrig?
»Ja klar, das versteh ich. Aber bei mir«, er machte eine unbestimmte Handbewegung um seinen Kopf herum, »hat sich da nix verändert. Ich kann nicht mehr sagen.«
Grewe schob seine Unterlagen zusammen und lächelte Zingerle an.
»Prima. Dann ruhige Schicht und danke.«
»Nichts zu danken. Ich danke für den Kaffee.«
Grewe winkte ab und stand auf. Schob den Stuhl an den Tisch und zwinkerte noch mal.
Zingerle öffnete den Mund. Sagte dann aber nichts.
Grewe sah ihn an. Gespannt.
Zingerle rührte schon wieder.
»Es ist … also … Jeder hier mochte Bernie, und wir Jungen hatten alle einen Riesenrespekt vor ihm. Das ist ja klar.«
Grewe nickte. Zingerle schloss kurz die Augen, atmete ein. Dann aus. Nickte sich selbst zu.
»Ich hatte Kim wahnsinnig gern. Ich … also … na ja.« Er wurde rot. So gut es ging mit einem Leichengesicht.
Grewe hatte auf etwas anderes gehofft.
»Wir alle hatten das.«
Er wusste genau, was Zingerle gemeint hatte, aber wollte ihm nichts zugestehen. Warum war er so sauer auf den Jungen?
Auf dem Flur wäre Grewe um ein Haar in zwei Kollegen gelaufen und entschuldigte sich zerstreut.
Er drückte auf den Aufzugknopf und schlug sich beim Warten immer wieder mit den Unterlagen gegen den Oberschenkel. Der Lift war leer, und Grewe drückte den Knopf, der zu Kindlers Etage führte.
Als die Tür sich schloss, wusste er es endlich.
Zingerle hatte ihn angelogen.
Von Carsts Wochenendpalast, Fachwerk, gekiester Innenhof, wurde von einem älteren Ehepaar verwaltet, das offensichtlich noch über weiteres Personal verfügte. Celik war beeindruckt von den alten Stilmöbeln, den fast schwarzen Eichenregalen in der Bibliothek mit Hunderten von in Leder gebundenen Büchern und einer kunstvoll gedrechselten, verschiebbaren Wendeltreppe, dem Esszimmer mit den Ölgemälden. Alles nicht sein Geschmack, er war durch das absolut moderne Stilbewusstsein seiner Frau geprägt, die auch ihr Haus entworfen und geplant hatte, aber er mochte die Echtheit der Ausstattung. Das war alter Familienbesitz und nicht für viel Geld auf Antikmärkten zusammengekauft.
Die Verwalterin führte ihn in das »Jagdzimmer« (Geweihe an den Wänden, schrankhoher Kamin mit riesigen Buchenscheiten). Auf einem Tisch standen ein Samowar mit Tee und türkisches Gebäck sowie frisches und getrocknetes Obst. Uwe von Carst war sehr aufmerksam, was Vorlieben seiner besten Klienten anging.
Perschel stand von seinem Sessel auf. Bemühte sich, freundlich zu lächeln, kriegte aber nur ein gemeines Grinsen hin, das auch noch schüchtern war. Erbärmlich.
Und seine Kutte trug er auch nicht, stattdessen einen Anzug aus glänzendem Stoff, in dem er erst recht wie ein mieser Zuhälter aussah. Was er ja schlussendlich auch war.
»Wo ist der Kunde?«
Sollte gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen, der Typ.
Perschel machte eine schlechte Kopie von Marlon Brandos »Nie kommst du zu mir …«-Gesicht samt ausgebreiteten Armen. Lächerlich. Immerhin checkte er gleich, was Sache war.
»Die kommen sicher jeden Moment. Die wollen ja schließlich was von dir.«
Perschel stand unschlüssig. Gut. Er hatte kapiert, dass er sich noch nicht mal hinsetzen durfte ohne Odhan Celiks Einverständnis.
Okan öffnete die Tür einen Spalt und sah seinen Boss an. Der nickte und setzte sich.
Die Tür ging ganz auf, und im Rahmen erschien ein leicht übergewichtiger Mann in schlecht sitzendem Anzug. Metallbrille und grauer Klobrillenbart. Und er hatte tatsächlich Haar von einer Seite des Kopfes über die Glatze zur anderen hin gekämmt. Celik hätte vermutet, dass es diese Frisur nicht mehr gab, aber diesen Mann kannte er natürlich vom Sehen und wusste also, dass es mindestens noch einen Menschen in
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