Keine Vergebung: Kriminalroman (German Edition)
Liebe zu feiern.
Später, sehr viel später sollte Isabell sich wundern, dass ihr zuallererst aufgefallen war, dass Nico Förster nicht Frau Schnoors heruntergefallenen Geldbeutel aufhob. Sie fand das furchtbar unhöflich und nahm sich vor, mit ihm unter vier Augen zu sprechen.
Dass er seine Arme hochgehoben hatte und Michelle Kremers schrill kreischte, registrierte Isabell erst um Sekunden verzögert, und dann erst hörte sie das unverständliche Bellen, das aus den Skimaskengesichtern dröhnte.
Und sah die Waffen.
Sie fühlte sich eiskalt und heiß zugleich, ihr Puls dröhnte im ganzen Körper. Trockener Hals.
Blutdruck, das war immer so ein abstraktes Wort, aber jetzt spürte Isabell, wie ihr Herz-Kreislauf-System auf volle Leistung hochfuhr. Ihre Muskeln spannten sich an, alle Sinne waren geschärft und lieferten plötzlich in rasender Geschwindigkeit Eindrücke und Meldungen, die ihr Hirn nicht sortieren konnte.
Ein Wort. Überfall. Überfall. Überfall.
Als sie es begriff, hatte ihr Fuß schon die Überfalltretleiste des stillen Alarms unter ihrem Schreibtisch berührt.
Sie sah die Mündung einer Pistole auf sich gerichtet und konnte durch den Stoff erkennen, dass das Gesicht dahinter verzerrt war vom Brüllen.
Sie hob die Hände.
Lara. Tom. Lara. Tom. Lara. Lara.
Ich will hier raus. Raus. Raus.
»Steh endlich auf, Fotze.«
Isabell nickte langsam. Sah dem Mann in die Augen. Versuchte, neutral zu schauen. Ruhig. Keine Panik, aber auch keine Abscheu zeigen. Die Angestellten wurden immer wieder in Seminaren auf diese Situation vorbereitet.
Sie stand. Sah sich um, soweit das ging, ohne den Kopf zu drehen.
Nico Förster stand mit erhobenen Armen neben dem Schalter, Michelle Kremers zitternd hinter ihrem Schreibtisch.
Frau Schnoor konnte die Arme nicht hochheben, sie schwebten auf halber Höhe, und ihr dünner Mantel flatterte von ihrem hektischen Atem. Mein Gott, sie würde vor Angst sterben, dachte Isabell.
Der Mann hatte sie alle genau im Blick. Der zweite Bankräuber war näher am Eingang und bedrohte die Leute vor dem Geldautomaten.
Vier Frauen und der junge Mann. Alle mit erhobenen Händen. Einige von ihnen hatten auch geschrien, das wurde Isabell erst jetzt bewusst.
»Hierher, los.« Der erste Bankräuber zeigte auf den Boden im Kundenbereich.
Isabell nahm kurz Blickkontakt mit Michelle Kremers auf und nickte ihr zu. Die junge Kollegin weinte. Aber sie ging los, an Isabell vorbei, die auf dem Fuß folgte.
»Hinlegen. Alle. Außer dir«, er zeigte auf Isabell, »und dir.« Damit war Nico Förster gemeint.
Der zweite Bankräuber scheuchte die Kunden vor sich her. Der Bereich, in dem sich alle hinlegen sollten, war von der Straße nicht einsehbar. Das waren Profis. Sie handelten überlegt.
Darüber hatte in den Seminaren ein Expolizist mit ihnen gesprochen. Und hatte gesagt, dass sie froh sein könnten, wenn es Profis wären. Weil Profis es ohne Blut und ohne Aufsehen durchziehen wollten. Es war nicht leicht, mit Beute und ohne Verfolger aus so einem Überfall rauszukommen. Und mit Opfern wurde es noch schwerer. Dafür war kaltes Blut nötig. Und ein Plan. Und Erfahrung. Nur beim ersten Mal brauchten sie Glück. Von da an war es Erfahrung.
Kooperieren. Kooperieren. Das hatten sie ihnen immer wieder eingebläut.
Es war wie im Film. Film?
Alle legten sich auf den Boden. Keuchen. Unterdrücktes Wimmern. Frau Schnoor atmete wie ein Fisch mit weit offenem Mund.
»Entschuldigen Sie bitte.«
Isabell bekam den Satz kaum heraus, so trocken war ihre Kehle, so zusammengeschnürt von Angst.
Angst. Sie würde dieses Wort nie wieder achtlos verwenden. Sie wusste erst jetzt, was Angst war.
Der erste Bankräuber, der Brüller, wie es in ihrem Kopf immer wieder hallte, sah sie mit seinen leeren Augen an.
Isabell sah zu Frau Schnoor und dann wieder zum Brüller.
»Sie stürzt gleich.«
Der Brüller guckte tatsächlich zu Frau Schnoor und dann zu seinem Partner.
Isabell nahm den zweiten Mann jetzt zum ersten Mal richtig wahr. Er war kleiner. Trug weite Hosen. Wirkte irgendwie zarter, obwohl das kaum das passende Wort zu sein schien, denn gleichzeitig strahlte er eine große Härte und Zähigkeit aus.
Er nickte stumm, ging zu Frau Schnoor und steckte auf dem Weg seine Waffe in den Hosenbund. Der andere hob seine Pistole noch mal hoch, als sollten alle sehen, dass noch eine Waffe im Spiel war. Als wenn das irgendjemand hier vergessen könnte.
Der Zarte fasste Frau Schnoor um die Hüften und führte
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