Keine Vergebung: Kriminalroman (German Edition)
Festung war nicht sturmreif. Die Mauern würden noch halten.
Grewe war sicher.
14
I sabell Bender war sechsunddreißig Jahre alt. Sie war seit zwölf Jahren verheiratet, ihre Tochter Lara hatte vor einer Woche ihren zehnten Geburtstag gefeiert.
Nach dem Abitur war Isabell ein halbes Jahr in den Staaten gewesen, dann hatte sie ihre Lehre zur Bankkauffrau begonnen. Bei der Kreissparkasse in der Straße, in der sie aufgewachsen war. Sie hatte den Arbeitgeber nie gewechselt und war mittlerweile stellvertretende Filialleiterin. Sie lebte mit ihrer Familie nur zwei Querstraßen von ihrer jetzigen Arbeitsstelle entfernt in einer hübschen Maisonettewohnung. Ein Balkon zur Straße und eine große Dachterrasse nach hinten. Sie pflegte mit Hingabe die Pflanzen, und ihr Mann Tom hatte einen kleinen Sandkasten für Lara gebaut. Jeden Herbst schippte er den Sand aus dem Kasten und lagerte ihn ein. Jedes Frühjahr kaufte er neuen Sand dazu und füllte den Kasten wieder.
Vor zwei Jahren hatte Lara gesagt, der Kasten könne weg. Isabell hatte abends geweint, während ihr Mann Tom die Einzelteile und den Sand nach unten brachte, zum Entsorgen.
»Sie hat schon seit mindestens drei Jahren so gut wie nicht mehr darin gespielt, Schatz.«
Isabell hatte genickt, die Nase geputzt und dann seine Hand genommen.
»Ich weiß doch. Die Zeit. Sie rennt.«
Er hatte sie geküsst und geflüstert, wie jung und schön sie noch immer sei.
Sie mochte ihre Arbeit. Sie mochte die Kollegen. Sie hatte sehr gerne mit Kunden zu tun. In diesem eher kleinbürgerlich geprägten Viertel gab es weder ehrgeizige Unternehmungen, die finanziert werden wollten, noch schlimme Geldnot.
Es gab sehr bescheiden lebende Rentner, deren Existenz aber gesichert war. Es gab junge Familien, für die die Kleinkredite die Erfüllung eines Lebenstraums bedeuteten, und die Bank gewährte ihnen diese ohne große Umstände.
Natürlich klemmte es mal hier und da, aber wirkliche Dramen hatte Isabell Bender in all den Jahren kaum erlebt. Fast alles ließ sich lösen, und nur sehr selten hatte ein Kunde wütend oder enttäuscht ihre Filiale verlassen.
Es war Punkt neun Uhr. Die Filiale war seit fünfzehn Minuten geöffnet.
Die alte Frau Schnoor war bereits da und hob zehn Euro am Schalter ab. Sie hatte sich nie an Geldautomaten gewöhnt und würde es mit ihren siebenundachtzig Jahren auch sicher nicht mehr tun. Und eine Kundin, die ihr erstes Sparkonto 1949 eröffnet hatte und nie bei einer anderen Bank gewesen war, würde bis zum letzten Atemzug ihr Geld auf die alte Art abheben dürfen, das war für Isabell Bender keine Frage.
An den Automaten hatte sich schon eine kleine Schlange gebildet. Bis auf einen jungen Mann nur Frauen, wahrscheinlich auf dem Weg zum Einkauf. Die meisten kannte Isabell Bender vom Sehen.
Die Sonne schien durch die großen Fenster, und die Schatten der Jalousien fielen auf den Boden. Nico Förster sprach geduldig und freundlich mit Frau Schnoor. Michelle Kremers arbeitete am Desktop. Nadja Thiermann war in der Kaffeeküche. Klaus Fuhrmann, der Filialleiter, hatte heute Vormittag einen Arzttermin und würde erst mittags zur Arbeit kommen.
Isabell Bender wandte den Blick wieder auf ihren Bildschirm. Um neun Uhr dreißig hatte sie ihren ersten Beratungstermin. Die Jungbluths wegen einer Immobilienfinanzierung. Frau Jungbluth war zum zweiten Mal schwanger. Wahrscheinlich würden sie wegziehen und ein kleines Haus irgendwo am Stadtrand kaufen wollen.
Isabell lächelte. Für sie war das nie infrage gekommen. Sie liebte ihre Stadt. Sie war überschaubar, aber dennoch eine richtige Stadt. Mit Schaufenstern, Restaurants, Straßenbahnen, Autos und immer vollen Straßen. Sie mochte das.
Heute würde sie etwas früher Feierabend machen und einkaufen. Morgen war Feiertag, und sie erwarteten ihre Freunde Max und Helle mit ihren beiden Mädchen. Die Kinder würden am späten Nachmittag mit den Vätern ins Kino gehen, und die Frauen bereiteten gemeinsam das Abendessen vor.
Und heute Abend war Lara bei den Großeltern. Über Nacht. Sie und Tom hatten einen Tisch im La Gondola und wollten danach noch in die Manhattan-Bar. Sie musste lachen, wenn sie an die Bar dachte.
Wie ein Überbleibsel aus den Achtzigern neonröhrte der Laden unbekümmert vor sich hin. Das Publikum war gemischt und meistens etwas zu aufgedonnert. Tom und Isabell hatten sich vor fünfzehn Jahren dort kennengelernt. Deswegen gingen sie an zwei oder drei Abenden im Jahr immer noch hin. Um ihre
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