Keine Zeit für Vampire
nicht Io die Frau, in die du so vernarrt warst.«
»Aber es gab eine?«, bohrte Nikola nach. »War damals eine Frau im Spiel?«
»Ich glaube schon.« Sie wandte sich an Ben. »Dein Gedächtnis ist besser als meines – erinnerst du dich noch an die Frau, die Papa ausgehalten hat, bevor diese schreckliche Sache passierte?«
»Nein. Ich war in dieser Zeit nicht zu Hause.« Ben überlegte kurz. »Allerdings erinnere ich mich, dass du mir in einem Brief berichtet hast, wie sehr es dich freute, dass er wieder Interesse an einer Frau zeigen würde. An ihren Namen erinnere ich mich jedoch nicht mehr.«
»Womöglich existieren zwei Zeitebenen«, meinte Nikola und zeichnete etwas in sein Notizheft. »Einmal ist da die Vergangenheit, an die sich Imogen und Benedikt erinnern und in der ich mit ihnen gebrochen habe – was ich zwar kaum glauben kann, was sich aber vielleicht dadurch erklären lässt, dass ich glaubte, sie hätten die Frau, die ich liebte, vernichtet –, und dann gibt es noch die zweite Ebene, an die ich mich erinnere und in der Io vorkommt. Es ist durchaus denkbar, dass sich die beiden Ebenen an verschiedenen Punkten berühren und dass wir an eben einer dieser Stellen von einer Zeit in die andere übergetreten sind.«
»Willst du damit sagen, dass in Bens und Imogens Vergangenheit deine Brüder entweder mich oder diese ominöse andere Frau ermordet haben« – Wehe, es gab wirklich eine andere Frau, denn dann käme ich mir jetzt wirklich wie eine Schlampe vor – »wohingegen in der Vergangenheit, die wir durchlebt haben, sie stattdessen versucht haben, dich umzubringen?«
»Gut möglich, denn meine Brüder hatten für jeden dieser Fälle sowohl ein Motiv als auch die Gelegenheit.« Er klopfte mit dem Bleistift gegen sein Kinn und ich hätte am liebsten hineingebissen. In sein Kinn. Nicht in den Bleistift.
Neben meinen plötzlichen erotischen Begierden überkam mich aber auch noch eine Eingebung, und ich fragte Imogen: »Du hast mir erzählt, dass deine Onkel deinen Vater ermordet hätten. Warum hast du das behauptet, wenn doch in deiner Version der Vergangenheit Nikola höchstpersönlich nichts mehr mit euch zu tun haben wollte?«
Sie und Ben tauschten einen vielsagenden Blick. »Papa und meine Onkel standen sich nie besonders nah. Doch damals, als er plötzlich … geistig verwirrt war, da waren sie nicht nur in seiner Nähe, sondern er zog sie auch ins Vertrauen, wohingegen er mich von sich stieß. Das war höchst ungewöhnlich, und Benedikt und ich mutmaßten später, dass sie Papa irgendwie beeinflusst, ihn möglicherweise mit einem Bann belegt oder auf irgendeine Weise seine Liebe zu uns zerstört hatten. Zwar hatten wir keine Beweise, doch es konnte kein Zufall sein, dass sie gerade zur Stelle waren, um seine Gedanken zu vergiften.«
»Ich kann mich an nichts dergleichen entsinnen«, erklärte Nikola versonnen. Sein Blick war leer und er war ganz in seinen Erinnerungen gefangen. »An dem Tag, an dem Io mich nötigte, mit ihr durch das Portal zu treten, haben sie mir einen unliebsamen Besuch abgestattet, doch wir haben nicht genügend Zeit miteinander verbracht, um es ihnen möglich zu machen, Einfluss auf mich auszuüben.«
»Aber nur, weil ich dich so schnell vor ihnen in Sicherheit gebracht habe«, sagte ich mit berechtigtem Stolz. »Was war eigentlich der Grund für ihren Besuch?«
Er zuckte ratlos mit den Schultern. »Ich habe nicht verstanden, was sie von mir wollten. Rolf brabbelte etwas davon, dass mir jemand, der mir nahestünde, übel mitspielen wolle, und Arnulf, kriecherisch wie immer, plapperte ihm alles nach.«
»Bestimmt gehörte das zu ihrem Plan, dich auszuschalten.«
»Möglicherweise«, erwiderte Nikola nachdenklich. »So wie ich sie kenne, fällt es mir allerdings schwer, zu glauben, dass sie den nötigen Elan hätten, um solch ein verabscheuungswürdiges Vorhaben in die Tat umzusetzen.«
Ich sagte nichts dazu, denn ich kannte Nikola inzwischen gut genug, um zu wissen, dass ich ihn ohne einen wasserdichten Beweis niemals von der Hinterhältigkeit seiner Brüder würde überzeugen können. »Okay, es sieht also so aus, als wären beide Vergangenheiten real, aber da du jetzt hier bist, bedeutet das wohl, dass deine Vergangenheit die richtige Vergangenheit ist, und die, in der du dich deinen Kindern gegenüber wie ein Idiot aufgeführt hast, hat es nie gegeben. Also können die beiden aufhören, sauer auf dich zu sein, und sich stattdessen darüber freuen, dass du lebst und
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