Keine Zeit für Vampire
der Grünstreifen neben der Straße rußig schwarz aus. Ich starrte finster auf die Straße. »Soweit ich mich erinnere, warst du vorhin kein Feldweg, sondern eine normale, asphaltierte Straße. Was zur Hölle ist hier los?«
Ich tastete behutsam meinen Kopf nach einer Wunde ab, die ich mir möglicherweise bei meinem Sturz zugezogen hatte, doch ich war unverletzt. Ich holte ganz, ganz tief Luft, fluchte noch ein ganz kleines bisschen, wandte mich dann nach links und marschierte auf der Straße beziehungsweise dem Feldweg in Richtung der nächstgelegenen Stadt ins Tal hinab.
Ich ging gerade auf einem eher flachen Wegabschnitt, der sich durch einen Wald schlängelte (diesmal nicht durch den verfluchten Wald), als ich plötzlich ein Donnergrollen hörte. »Na toll, das kommt mir ja gerade recht – Regen und noch fast fünf Kilometer bis zur Stadt. Irgendjemand hat heute was gegen mich.«
Ich ging schneller und klammerte mich an die unwahrscheinliche Hoffnung, es vor dem Regen noch bis in die Stadt zu schaffen. In letzter Zeit hatte ich wirklich eine Pechsträhne. Das musste sich unbedingt ändern. Das Donnern wurde lauter.
»Verflucht noch mal«, knurrte ich und rannte los. Sofort bekam ich kleine Steinchen in die Sandalen, die schmerzhaft an meinen Fußsohlen rieben. Die Straße fiel nun etwas ab, und ich rannte wie eine Besessene auf die Lichter der Stadt zu, die ich bereits im Tal ausmachen konnte. Die Straße wand sich endlos in Serpentinen den Berghang hinunter, und ich erwog schon, eine Abkürzung über den schroff abfallenden, felsigen Hang zum weiter unten gelegenen Straßenabschnitt zu nehmen, als plötzlich der Teufel aus der Finsternis erschien und mich über den Haufen rannte.
3
12. Juli 1703
»Und Ihr wollt sicher nicht über Nacht bleiben, gnädiger Herr?«
Die Stimme der Frau war genauso geschmeidig wie die perlweiße Haut, die er gerade eben noch mit Mund und Zunge liebkost hatte. Nikola dachte einen Augenblick ernsthaft über die Einladung nach. Nur ein Kopfnicken und dieses Täubchen wäre ganz die Seine. Doch trotz des starken Verlangens, das er verspürte, lehnte er das Angebot ab.
»Ein andermal, meine Süße«, sagte er zu der anmutigen Wirtsfrau und warf einige Münzen auf den Tisch neben ihr. Einen Moment lang sorgte er sich, ob er ihr womöglich zu viel Blut genommen hatte, doch dann bemerkte er den lustvollen Ausdruck in ihren Augen, der von dem wundersamen Blutrausch herrühren musste, der die Spender manchmal überkam und der nichts mit dem Blutverlust an sich zu tun hatte.
Er verbeugte sich knapp und verließ dann das Gasthaus. Draußen wies er den wartenden Kutscher an, ihn nach Hause zu bringen. Seine Tochter würde ihn sicherlich schon ungeduldig erwarten. Er war auf dem Rückweg von Heidelberg durch schlechtes Wetter aufgehalten worden, und sie war bestimmt beunruhigt. So war Imogen eben, dachte er bei sich, immer in Sorge. Das hatte sie von ihrer Mutter. Die Kutsche fuhr ruckartig an und setzte zur Fahrt durch die erfrischend kühle Nachtluft an.
Die Erinnerung an Margaret erfüllte ihn mit Schmerz. Mit Schmerz und Schuldgefühlen, weil er sie nicht so geliebt hatte, wie sie es verdient gehabt hätte, nicht mit der Intensität, mit der sie ihn vergöttert hatte. Der Gedanke erzürnte ihn, denn Margaret war eine sanftmütige, liebevolle Frau gewesen, die die letzten dreiundzwanzig Jahre ihres Lebens damit verbracht hatte, ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen.
»Weibsbilder«, knurrte er leise und starrte in die Nacht hinaus. Die Kutsche hatte die Stadt hinter sich gelassen und fuhr nun den langen, gewundenen Weg zur Andrasburg hinauf. »Allzeit liebreizend, gütig und fürsorglich. Und wozu das alles? Um den Männern Schuldgefühle einzuimpfen. Und dann lassen sie sich von einem arglosen Mann, der eigentlich nichts anderes als seine Forschungen im Sinn hat, schwängern, und am Ende hat eben dieser arme Mann just diese Brut am Hals. Und zu allem Überfluss riechen sie auch noch so gut. Das machen sie mit Absicht. Diese liederlichen Frauenzimmer.«
Nikola gab sich seinen Grübeleien über die Ungerechtigkeit der Welt so lange hin, wie es ihm möglich war – etwa zehn Minuten –, dann musste er einsehen, dass er nur versuchte, die Wahrheit zu verdrängen: Er hatte Margaret Ehre erwiesen, so gut er es vermochte, doch sie hätte eigentlich mehr verdient gehabt. Und nun war sie schon seit sieben Jahren tot, und ihr jüngstes Kind, ihr Sohn Benedikt, würde in Heidelberg
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