Keine Zeit für Vampire
die er von den Frauen kannte, mit denen er sonst verkehrte. Erdig und doch zart, faszinierend und geheimnisvoll.
»Ich mag keine Geheimnisse«, ließ er die bewusstlose Frau wissen.
»Stimmt, die mögt Ihr nicht. Haltet Euch bloß nicht mit einer Hure auf, Master Nick. Ich lege sie einfach an den Straßenrand, und schon geht die Heimreise weiter.«
»Verdient hätte sie es, dafür, dass sie den armen Heinrich so erschreckt hat.« Nikola fragte sich, wer diese Frau wohl war und warum sie so leicht bekleidet hier auf der Straße herumgerannt war.
Eines der beiden Kutschpferde warf den Kopf zurück und wieherte beipflichtend. Dabei scharrte der Braune mit den Hufen, wie um seiner Aussage Nachdruck zu verleihen und sich nochmals darüber zu echauffieren, wie übel ihm mitgespielt worden war. Sein beinahe haarloser Schwanzstumpf peitschte dabei ärgerlich hin und her. Lucy, die einohrige Stute, die neben ihm lief, reckte den Kopf nach ihm und versuchte, ihn zu beißen. Heinrich zeigte ihr die gebleckten Zähne.
»Weib, ich würde gern deinen Namen erfahren, damit ich, falls der arme Heinrich eine Verletzung davongetragen hat, weiß, wem ich die entstandenen Kosten in Rechnung stellen kann.« Nikola versuchte, die schlaffe Frau aufzuwecken, indem er sie ein wenig schüttelte, doch sie lag weiterhin reglos, warm und weich in seinen Armen und duftete dabei so gut, dass ihm in seinem dicken Wollmantel ganz heiß wurde und außerdem seine Kniehose auf einmal viel zu eng schien. Sein Blick wanderte über ihre bloßen Arme, über die zarte Rundung ihrer sommersprossigen Schultern und die etwas üppigere Rundung ihrer Brüste, die aus dem Ausschnitt ihres Hemdchens hervorlugten. Wie es sich wohl anfühlen mochte, ihre Arme zu berühren, ihre zarten Schultern und ihren Hals zu streicheln, in das tiefe Tal zwischen ihren Brüsten einzutauchen, sie zu schmecken …
»Lasst sie einfach hier im Gras liegen«, riss Teds Stimme ihn aus seinen Gedanken. Nikola eiste den Blick von der Frau los und sah, dass der Kutscher an den Straßenrand gehinkt war und auf eine Stelle wies, die er für die Entsorgung einer Hure für angemessen hielt. »Früher oder später werden ihre Leute sie schon finden.«
»Ich werde mich gewiss nicht mit einem liederlichen Frauenzimmer von fragwürdiger Herkunft abgeben«, pflichtete Nikola ihm bei, ging zur Kutsche und platzierte die Frau sacht auf den Sitz. Dann zog er einen kleinen Schemel hervor und stellte ihn neben den Kutschbock. »Nun Ted, lass uns schnell nach Hause fahren, bevor dem armen Heinrich noch mehr Unbill widerfährt.«
Seufzend hoppelte der Kutscher zurück zum Gefährt. Als Nikola ihm einen Arm anbot, trat er auf den Hocker und zog sich wortlos auf den Kutschbock hoch.
Nikola räumte den Schemel fort und sprang behände in die Kutsche. »So ist das also«, hörte er den Kutscher murmeln, als er die Tür zuzog.
»Deine überflüssigen Kommentare kannst du dir sparen. Wenn du dich weiter so benimmst, wäre es durchaus möglich, dass ich zukünftig deine Dienste nicht mehr benötige«, rief Nikola laut nach vorne und deckte dabei die Ohnmächtige sorgsam mit einer Decke zu.
»Was wird die junge Lady wohl dazu sagen, dass Ihr eine Hure mit nach Hause bringt? Das würde ich gern wissen!«, brüllte Ted zurück. Dann schnalzte er mit der Zunge, und die Pferde setzten sich in Bewegung.
Nikola hielt die Frau fest, als sich die Kutsche wieder ruckelnd in Bewegung setzte. Erst als er sichergehen konnte, dass sie nicht mehr aus dem Sitz rutschen würde, ließ er sich in die Polster zurücksinken. »In meinem Haus habe ich das Sagen, und niemand wird es wagen, sich mir zu widersetzen. Imogen tut, was ich ihr sage.«
Nikola war sich nicht ganz sicher, ob das ungläubige Schnauben, dass er zur Antwort erhielt, von Ted oder von Heinrich kam, weshalb er es unkommentiert durchgehen ließ. Für den Rest der Reise übte er sich darin, dem Drang zu widerstehen, die Decke beiseitezuschieben und die helle, zarte Haut darunter zu berühren. Außerdem machte er sich Gedanken, wie er seiner Tochter die Anwesenheit dieser seltsamen Frau erklären sollte.
»Papa!«
Als die Kutsche vor dem großen Anwesen, das er sein Heim nannte, zum Stehen kam, erwartete ihn Imogen bereits vor den wuchtigen Doppeltüren aus Eichenholz. Die Burg mochte vielleicht heruntergekommen und baufällig sein, doch sie gehörte ihm und er liebte jeden einzelnen zerbröselnden Stein, jedes verrottete Holzbrett und jedes schmierige
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