Keine Zeit für Vampire
studieren. Das hätte Margaret sicher gefreut. Ihr Vater war Schuster gewesen, und nicht im Traum hätte sie jemals geglaubt, dass der Baron sich in sie verlieben könnte, ganz zu schweigen davon, dass sie einmal seine Frau und die Mutter seiner Kinder werden würde.
»Wenn der Fluch nicht gewesen wäre, hätte ich sie auch niemals geehelicht.« Die Worte laut auszusprechen linderte seine Schuldgefühle ein wenig, als ob das Eingeständnis allein die Schuld mindern könnte. Sich die Wahrheit einzugestehen nahm ihr etwas von ihrer Gewalt. »Ich konnte sie nicht lieben, aber immerhin habe ich ihr meinen Namen, meine gesellschaftliche Stellung und meinen Reichtum geben können.«
Aber nicht dein Herz, meldete sich eine leise Stimme. Du hast ihr alles gegeben, nur nicht dein Herz .
»Ich habe getan, was ich konnte«, entgegnete er der Stimme unbehaglich. Warum zur Hölle führte er immer und immer wieder solche Diskussionen mit sich selbst? Ging das anderen auch so? Oder war das Teil seiner besonderen Natur? Er nahm sich vor, später Imogen danach zu fragen, ob sie ebenfalls Debatten mit sich selbst führte oder ob dieses Verhalten zu den Begleiterscheinungen des Fluches gehörte. »Ich habe ihr alles gegeben, was ich hatte.«
Die Worte kamen über seine Lippen, und die Lüge schmerzte ihn tief. Er sackte auf dem Sitz in sich zusammen und haderte damit, weshalb ihn sein Gewissen ausgerechnet jetzt geißeln musste. »Ich kann ja doch nichts mehr ändern. Schließlich kann ich nicht einfach so in der Zeit zurückreisen und …«
Er nahm ein weißes Aufblitzen im Augenwinkel wahr, eine Sekunde bevor plötzlich ein Ruck durch die Kutsche ging und der Kutscher wütend aufbrüllte.
»Was zum Teufel ist da los?« Die Kutsche kam schlingernd zum Stehen, und Nikola sprang heraus. Mit seinen scharfen Augen, mit denen er auch nachts ausgezeichnet sehen konnte, hatte er sofort den Körper entdeckt, der am Straßenrand lag.
»Eine Frau, Master Nicky. Wie aus dem Nichts stand sie plötzlich vor uns und ist mit Heinrich zusammengeprallt.«
Der alte Ted, Nikolas Kutscher, stieg mit einem schmerzerfüllten Ächzen vom Kutschbock und humpelte zu Nikola, der schon über dem Frauenkörper kauerte. »Was meint Ihr? Ist sie tot?«
Nikola legte der Frau eine Hand an den Hals. Der Puls war zwar etwas beschleunigt, aber gut spürbar. »Nein. Sie ist nur benommen. Rollen wir sie auf den Rücken, damit wir sehen können, ob sie verletzt ist.«
»Ich hole die Laterne«, erbot sich Ted. Er hinkte unter Anstrengungen zur Kutsche zurück und nahm eine der Laternen, die die Straße vor der Kutsche beleuchteten, vom Haken. Sie schwankte wild in seiner Hand, während er zurückhumpelte, doch Nikola benötigte das gelbliche Licht überhaupt nicht, um zu erkennen, dass die Frau, die so achtlos mit seinem Pferd kollidiert war, weder Blutspuren noch sichtbare Verletzungen aufwies.
»Typisch Frauenzimmer«, bemerkte er mit einem finsteren Blick auf den Körper vor sich. »Laufen kopflos vor die Kutsche eines Mannes, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass ein wertvolles Pferd dabei ernsthaften Schaden nehmen könnte.«
»Jawohl, so sind sie«, pflichtete der alte Ted ihm bei und spuckte aus. Mit Blick auf die ohnmächtige Frau meinte er: »Sie sieht aus wie eine Metze.«
»Metze?« Nikola war nicht ganz bei der Sache vor lauter Selbstmitleid darüber, dass ihm schon wieder Unbill durch eine Frau widerfuhr. Da er einige Jahre in England verbracht hatte, waren seine Kenntnisse der Landessprache eigentlich recht gut. In jenem Land hatte er auch Ted kennengelernt.
»Aye, Master Nicky, eine Metze. Eine Dirne. Eine Frau, die nicht viel taugt.«
Nikola musterte die Frau mit kritischem Blick. »Mir scheint sie keine Prostituierte zu sein.«
»Aber sie läuft in nichts als ihrer Unterwäsche herum. Das ist doch ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sie ein leichtes Mädchen sein muss. Keine anständige Frau würde nur im Unterkleid auf die Straße gehen, oder?«
»Ein Argument, das ich nicht entkräften kann. Sie ist zweifellos eine Hure, und wir überlassen sie am besten sich selbst.«
Nikola hob die Frau vorsichtig hoch und stellte dabei überrascht fest, dass es sich nicht nur außergewöhnlich gut anfühlte, ihren Körper an seinem zu spüren, sondern dass sie zudem auch noch wunderbar roch. Er schloss die Augen und atmete tief ihren Duft ein. Er ließ sich nur schwer fassen, war leicht blumig und so ganz anders als die Gerüche,
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