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Keine zweite Chance

Keine zweite Chance

Titel: Keine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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der Seite. Er musste neu sein.
    Tränen schossen mir in die Augen. Der schwankende Strahl der Taschenlampe verlieh dem Ganzen einen stroboskopartigen
Effekt. Der Laufstall sah leer aus. Meine Hoffnung schwand. Ich rannte trotzdem hinüber, falls das Licht eine optische Täuschung erzeugt haben sollte, falls Tara sich so eng an den Boden geschmiegt hatte, dass sie — ich weiß nicht — kaum eine kleine Erhebung auf dem Boden bildete.
    Doch da lag nur eine Decke.
    Eine leise Stimme — eine Stimme aus einem unheimlichen, nicht enden wollenden Albtraum — drang durchs Zimmer. »Herrgott.«
    Ich wandte meinen Kopf in Richtung der Stimme. Dann hörte ich sie wieder, jetzt noch leiser. »Hier drin«, sagte der Polizist. »Im Schrank.«
    Tickner und Regan waren schon da. Beide blickten hinein. Selbst im schwachen Dämmerlicht erkannte ich, dass sie blass wurden.
    Ich taumelte voran. Mit unsicheren Schritten stolperte ich durchs Zimmer und musste mich im letzten Moment am Knauf der Schranktür festhalten, um nicht hinzufallen. Ich sah hinein. Und als ich den ausgefransten Stoff erblickte, spürte ich förmlich, wie mein Innerstes explodierte und zu Asche zerkrümelte.
    Dort, auf dem Boden des Schranks, lag ein zerrissener Strampelanzug mit schwarzen Pinguinen.

Achtzehn Monate später
8
    Lydia sah, dass die Witwe im Starbucks-Coffeeshop allein war.
    Sie saß auf einem Hocker am Fenster und schaute abwesend den Fußgängern hinterher. Ihr Kaffee stand so dicht an der Scheibe, dass sich ein beschlagener Kreis auf dem Glas bildete. Lydia musterte sie einen Moment lang. Man sah ihr die Verzweiflung noch an — der kampfesmüde, leere Blick, die besiegte Haltung, das stumpfe Haar, die zittrigen Hände.
    Lydia bestellte sich einen großen Latte Macchiato mit Magermilch und einer Extraportion Espresso. Der Kellner hinter dem Tresen, ein hagerer, ganz in Schwarz gekleideter junger Mann mit einem Spitzbart, gab ihr den Extra-Espresso aufs Haus . Männer, selbst so junge, taten so etwas für Lydia. Sie schob ihre Sonnenbrille etwas herunter und bedankte sich bei ihm. Er machte sich fast ins Hemd.
    Lydia wusste, dass er ihren Hintern anstarrte, als sie zum Tisch mit den Zutaten ging. Auch das kannte sie schon. Sie legte eine Packung Süßstoff neben den Becher. Der Coffeeshop war ziemlich leer, und obwohl es jede Menge freie Plätze gab, setzte Lydia sich auf den Hocker direkt neben der Witwe. Als diese sie bemerkte, schreckte sie aus ihrer Versunkenheit auf.
    »Wendy?«, sagte Lydia.
    Wendy Burnet, die Witwe, sah die Frau mit der sanften Stimme an.
    »Ich möchte Ihnen mein Beileid aussprechen«, sagte Lydia.
    Lydia lächelte sie an. Sie hatte ein herzliches Lächeln, das
wusste sie. Das maßgeschneiderte graue Kostüm brachte ihren zierlichen, straffen Körper bestens zur Geltung. Der Rock war ziemlich hoch geschlitzt. Ganz erotische Geschäftsfrau. Ihre Augen glänzten feucht, und sie hatte eine niedliche Stupsnase. Ihr Haar war rotbraun gelockt, aber das konnte man ändern — was sie auch häufig tat.
    Wendy Burnet starrte Lydia gerade so lange an, dass diese sich fragte, ob sie erkannt worden war. Lydia kannte diesen Blick seit langem, diesen unsicheren Ich-kenne-Sie-von-irgendwoher-Ausdruck, obwohl sie seit ihrem dreizehnten Lebensjahr nicht mehr im Fernsehen aufgetreten war. Manche Leute sagten sogar: »Hey, wissen Sie, an wen Sie mich erinnern?«, aber Lydia — sie war damals unter dem Namen Larissa Dane aufgetreten — tat das immer mit einem Achselzucken ab.
    Leider war das hier kein solches Zögern. Wendy Burnet stand nach dem schrecklichen Tod ihres geliebten Mannes noch unter Schock. Sie brauchte einfach etwas länger, um neue Informationen aufzunehmen und geistig zu verarbeiten. Wahrscheinlich überlegte sie, wie sie reagieren sollte, ob sie vorgeben müsste, Lydia zu kennen.
    Nach ein paar Sekunden entschied Wendy Burnet sich für ein unverbindliches »Vielen Dank«.
    »Der arme Jimmy«, fuhr Lydia fort. »So ein schrecklicher Tod.«
    Wendy griff nach ihrem Pappbecher und trank einen kräftigen Schluck Kaffee. Lydia studierte die kleinen Kästchen am Becherrand und sah, dass auch Witwe Wendy einen großen Latte Macchiato bestellt hatte, allerdings koffeinarm und mit Sojamilch. Lydia rückte etwas näher an sie heran.
    »Sie wissen nicht, wer ich bin, nicht wahr?«
    Wendy sah sie mit einem schwachen, ertappten Lächeln an. »Nein, tut mir Leid.«

    »Nicht nötig. Ich glaube nicht, dass wir uns schon mal begegnet

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