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Keine zweite Chance

Keine zweite Chance

Titel: Keine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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könnten Sie Recht haben.« Er lächelte. »Aber lassen Sie mich die Frage trotzdem stellen.«
    Ich hob resignierend die Hände und gab zu verstehen, dass er fortfahren solle.
    »Wissen Sie, wie ihr Mann gestorben ist?«
    »Er wurde erschossen«, sagte ich zu schnell und bereute es sofort. Er beugte sich noch etwas näher zu mir herüber und fuhr fort.
    »Und wissen Sie auch, wer ihn erschossen hat?«
    Ich blieb reglos stehen.
    »Wissen Sie es, Marc?«
    »Gute Nacht, Detective.«
    »Sie hat ihn umgebracht, Marc. Eine Kugel in den Kopf aus nächster Nähe.«
    »Das«, sagte ich, »ist gequirlte Scheiße.«

    »Wirklich? Ich meine, sind Sie sicher?«
    »Wenn sie ihn umgebracht hat, warum sitzt sie dann nicht im Knast?«
    »Gute Frage«, sagte Regan und ging den Weg entlang. Als er an der Straße war, ergänzte er: »Vielleicht sollten Sie sie selbst fragen.«

26
    Rachel wartete in der Garage. Sie sah mich an. Plötzlich kam sie mir klein vor. Und ich sah die Angst in ihrem Gesicht. Der Kofferraum war offen. Ich trat an die Fahrertür.
    »Was wollte er?«, fragte sie.
    »Genau das, was du gesagt hast.«
    »Wusste er von der CD?«
    »Er wusste, dass wir bei MVD waren. Die CD hat er nicht erwähnt.«
    Ich setzte mich auf den Fahrersitz. Sie ließ es gut sein. Jetzt war nicht der rechte Zeitpunkt, neue Fragen aufzuwerfen. Das war uns beiden klar. Aber wieder stellte ich mein Urteilsvermögen in Frage. Meine Frau war ermordet worden. Genau wie meine Schwester. Man hatte ernsthaft versucht, mich umzubringen. Und letztlich hatte ich mich in die Hände einer Frau begeben, die ich eigentlich nicht kannte. Ich hatte ihr nicht nur mein Leben anvertraut, sondern auch das meiner Tochter. Ziemlich dumm, wenn man es näher bedachte. Lenny hatte Recht gehabt. So einfach war es nicht. Im Prinzip hatte ich keine Ahnung, wer sie war, oder was aus ihr geworden war. Ich hatte mir ein Bild von ihr gemacht, das vielleicht gar nichts mit der Wahrheit zu tun hatte, und jetzt fragte ich mich, was mich das kosten würde.
    Ihre Stimme drang durch den Nebel: »Marc?«

    »Was ist?«
    »Ich bin immer noch der Meinung, dass du die kugelsichere Weste anziehen solltest.«
    »Nein.«
    Mein Ton klang strenger, als ich es gemeint hatte. Oder auch nicht. Rachel legte sich in den Kofferraum und schloss ihn. Ich legte die Geldtasche auf den Beifahrersitz und drückte auf den Knopf unter der Sonnenblende, worauf das elektrische Garagentor sich öffnete. Dann ließ ich den Motor an.
    Wir waren unterwegs.

    Als Tickner neun Jahre alt war, hatte seine Mutter ihm ein Buch mit optischen Illusionen gekauft. Man betrachtete eine Zeichnung von, sagen wir mal, einer alten Frau mit einer großen Nase. Dann sah man es sich etwas länger an, und, puff, plötzlich war es ein junges Mädchen, das zur Seite blickte. Tickner hatte das Buch geliebt. Als er etwas älter wurde, waren es die Magisches Auge -Bücher gewesen, bei denen man eine ganze Weile die verwirrenden Farben anstarren musste, bis schließlich das Pferd erschien, oder was sonst darin versteckt war. Das dauerte manchmal ewig. Man fragte sich gelegentlich, ob da überhaupt irgendetwas verborgen war. Und plötzlich kam dann das Bild zum Vorschein.
    Genau dasselbe passierte hier.
    Tickner wusste, dass es in vielen Fällen Momente gab, die alles veränderten – genau wie bei den alten optischen Täuschungen. Man betrachtet eine Realität und dann, mit einer leichten Drehung, veränderte sich das ganze Bild. Nichts war mehr wie vorher.
    Die gängigen Theorien über den Seidman-Überfall hatte er nie ganz nachvollziehen können. Sie waren ihm immer vorgekommen, als lese er ein Buch, in dem mehrere Seiten fehlten.
    Im Lauf der Jahre hatte Tickner nicht besonders viele Morde bearbeitet.
Meistens war die örtliche Polizei dafür zuständig. Doch er kannte diverse Cops in den verschiedenen Mordkommissionen. Die besten waren immer ein bisschen seltsam – traten viel zu theatralisch auf oder sprühten vor überschäumender Fantasie. Tickner hatte einmal gehört, wie sich zwei von ihnen über einen Fall unterhielten, in dem das Opfer aus dem Grab die Hand nach dem Mörder ausstreckte . Sie meinten, die Opfer würden irgendwie mit ihnen reden und ihnen so den Mörder zeigen. Tickner ließ diesen Unsinn freundlich nickend über sich ergehen. In seinen Ohren klang es immer wie eine Parabel, wie das bedeutungslose Gerede, das Polizisten absondern, weil die Medien auf so etwas abfahren.
    Der Drucker surrte immer noch.

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