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Keine zweite Chance

Keine zweite Chance

Titel: Keine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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hatte den Park in ein fast ätherisches Licht getaucht.

    Ich setzte den Blinker und rollte auf die Ausfahrt. Dort waren keine Autos und nur wenige Laternen zu sehen. Der Park war nachts geschlossen, die Straße blieb jedoch für den Durchgangsverkehr geöffnet. Mein Wagen tuckerte die steile Straße hinauf und fuhr in eine Art mittelalterliche Burg hinein. The Cloisters, ein ehemaliges, im Wesentlichen von französischen Mönchen gegründetes Kloster, das jetzt Teil des Metropolitan Museum of Art war, überragte alles. Es beherbergt eine fantastische Mittelalter-Sammlung. Hat man mir zumindest erzählt. Ich bin mindestens hundertmal in diesem Park gewesen. The Cloisters hatte ich nie betreten.
    Es war, dachte ich, ein klug gewählter Ort für eine Lösegeldübergabe  – dunkel, ruhig, mit vielen verschlungenen Wegen, Felsklippen, Steilhängen, dichten Gehölzen, gepflasterten und ungepflasterten Pfaden. Man konnte sich hier verlaufen. Man konnte sich auch sehr lange verstecken, ohne gefunden zu werden.
    Die Computerstimme fragte: »Sind Sie da?«
    »Ich bin in Fort Tryon, ja.«
    »Parken Sie beim Café. Steigen Sie aus und gehen Sie bis zum Circle.«

    Im Kofferraum war es laut und unbequem. Rachel hatte sich eine weiche Decke mitgebracht, aber gegen den Lärm konnte sie nicht viel machen. Die Taschenlampe ließ sie im Rucksack. Sie wollte sie nicht anschalten. Rachel hatte sich nie vor der Dunkelheit gefürchtet.
    Es lenkte nur ab, wenn man etwas sah. Im Dunkeln konnte man gut nachdenken.
    Sie versuchte, sich nicht zu verkrampfen, einfach mit den Bodenwellen mitzugehen, und wunderte sich über Marcs Verhalten direkt vor der Abfahrt. Der Cop, der ans Haus gekommen war,
hatte zweifellos etwas gesagt, das ihn verunsichert hatte. Über sie? Wahrscheinlich. Sie fragte sich, was genau es gewesen war und wie sie damit umgehen sollte.
    War das jetzt wichtig? Sie waren auf dem Weg zu einer Lösegeldübergabe. Sie musste sich auf die bevorstehende Aufgabe konzentrieren.
    Rachel fiel wieder in eine wohl bekannte Rolle. Diese Erkenntnis versetzte ihr einen Stich. Ihr fehlte das FBI. Sie hatte ihre Arbeit geliebt. Ja, vielleicht war die Arbeit alles gewesen, was sie gehabt hatte. Sie war mehr als nur eine Fluchtmöglichkeit gewesen – sie war das Einzige, das ihr richtig Freude bereitet hatte. Manche Menschen versuchten, ihren Job so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, um dann nach Hause zu gehen und ihr Leben zu leben. Bei Rachel war es genau umgekehrt gewesen.
    Nach all den Jahren, die sie getrennt verbracht hatten, gab es doch eine Gemeinsamkeit zwischen Marc und ihr: Beide hatten eine Arbeit gefunden, die ihnen Spaß machte. Sie fragte sich, wie es dazu gekommen war. Sie fragte sich, ob es da einen Zusammenhang gab, ob die Arbeit bei ihnen ein Ersatz für die wahre Liebe war. Oder interpretierte sie da zu viel hinein?
    Marc hatte seine Arbeit noch. Sie nicht. War sie deshalb verzweifelter?
    Nein. Sein Kind war verschwunden. Spiel, Satz und Sieg.
    In der Dunkelheit des Kofferraums schmierte sie sich das Gesicht mit schwarzer Schminke ein, so dass es kein Licht mehr reflektierte. Der Wagen fuhr bergauf. Ihre Ausrüstung lag fertig gepackt neben ihr.
    Sie dachte an Hugh Reilly, diesen Schweinehund.
    Ihre Trennung von Marc – und alles, was danach geschehen war – war seine Schuld. Hugh war auf dem College ihr bester Freund gewesen. Und etwas anderes wollte er auch nie sein,
hatte er ihr erzählt. Nur ein wirklich guter Freund. Kein Problem. Er verstand, dass sie mit Marc zusammen war. War Rachel naiv oder vorsätzlich naiv gewesen? Männer, die einfach nur ein guter Freund sein wollen, tun das, weil sie hoffen, als Nächster an die Reihe zu kommen, als wäre Freundschaft ein guter Ort für ein paar Übungsschwünge, bevor man ans Schlagmal trat. Hugh hatte nur beste Absichten gehabt, als er sie an jenem Abend in Italien angerufen hatte. Ich finde bloß, dass du es wissen solltest , hatte er gesagt, als Freund . Und dann hatte er ihr erzählt, was Marc bei irgendeiner dämlichen Verbindungsparty getan hatte.
    Ja, sie hatte lange genug sich selbst die Schuld gegeben. Sie hatte Marc lange genug die Schuld gegeben. Hugh Reilly. Wenn der Dreckskerl sich um seinen eigenen Kram gekümmert hätte, wie würde ihr Leben dann heute aussehen? Sie wusste es nicht. Aber was war aus ihrem Leben geworden? Das war einfacher zu beantworten. Sie trank zu viel. Sie war jähzornig. Ihr Magen machte ihr mehr Probleme als nötig.

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