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Keine zweite Chance

Keine zweite Chance

Titel: Keine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Zwölf Fotos hatte Tickner schon gesehen.
    »Wie viele kommen noch?«, fragte er.
    Dorfman sah auf den Monitor. »Sechs.«
    »So wie die?«
    »Ziemlich, ja. Auf jeden Fall dieselbe Person.«
    Tickner starrte die Fotos an. Ja, auf allen Bildern war dieselbe Person zu sehen. Sie waren alle schwarz-weiß, alle heimlich aufgenommen worden, ohne dass diese Person wusste, dass sie fotografiert wurde. Vermutlich mit einem Teleobjektiv.
    Die Hand aus dem Grab nach dem Mörder ausstrecken klang plötzlich gar nicht mehr so dumm. Monica Seidman war seit achtzehn Monaten tot. Ihr Mörder war davongekommen. Und jetzt, wo längst keine Hoffnung mehr bestand, schien sie von den Toten auferstanden zu sein und mit dem Finger auf jemanden zu zeigen. Tickner sah noch einmal hin und versuchte, seine Gedanken zu ordnen.
    Die Person auf den Bildern, diejenige, auf die Monica Seidman mit dem Finger zu zeigen schien, war Rachel Mills.

    Wenn man die Ostroute der New Jersey Turnpike in Richtung Norden fährt, taucht die Skyline von Manhattan vor einem auf. Wie die meisten Menschen, die sie fast jeden Tag sehen, habe auch ich mich daran gewöhnt und nicht weiter darauf geachtet. Diese Zeiten sind vorbei. Hinterher war mir noch eine Weile so, als könnte ich die Türme immer noch sehen. Es war, als hätte ich lange Zeit helle Lichter angesehen, so dass ihr Abbild, selbst wenn ich die Augen schloss, noch eine Weile vorhanden war. Doch wie diese Abbilder verblasste auch das Bild der Twin Towers langsam. Jetzt ist alles anders. Wenn ich diese Strecke fahre, halte ich immer noch nach ihnen Ausschau. Selbst heute Nacht. Aber manchmal weiß ich gar nicht mehr genau, wo die Türme gestanden haben. Und das erfüllt mich mit unbändiger Wut.
    Aus alter Gewohnheit nahm ich die untere Ebene der George Washington Bridge. Um diese Zeit war hier kaum Verkehr. Ich fuhr durch die elektronische Mautstation, bei der das Geld automatisch von meinem E-ZPass abgebucht wird. Während der Fahrt war es mir gelungen, mich abzulenken. Ich hatte im Radio immer wieder zwischen zwei Talkshows hin- und hergeschaltet. Eine auf einem Sportkanal, in der viele Männer namens Vinny aus Bayside anriefen, sich über unfähige Trainer beschwerten und verkündeten, dass sie das alles viel besser machen würden. In der anderen hielten es reichlich alberne Howard-Stern-Kopien für komisch, dass ein junger Collegestudent seine Mutter anrufen und ihr erzählen sollte, er habe Hodenkrebs. Beide Sendungen waren zwar nur bedingt unterhaltsam, boten aber immerhin ein wenig Zerstreuung.
    Rachel lag im Kofferraum, was absolut bizarr war, wenn ich darüber nachdachte. Ich griff zum Handy und schaltete den Walkie-Talkie-Modus ein. Als mein Finger die Verbindungstaste drückte, hörte ich fast unverzüglich die Computerstimme: »Fahren Sie auf die Henry Hudson Richtung Norden.«

    Ich hielt das Telefon wie ein Funkgerät an den Mund und sagte: »Okay.«
    »Sagen Sie mir, wenn Sie an der Hudson sind.«
    »Gut.«
    Ich wechselte auf die linke Spur. Ich kannte den Weg. Die Gegend war mir vertraut. Ich hatte ein Praktikum im New York Presbyterian Hospital gemacht, das ungefähr zehn Blocks südlich von hier lag. Zia und ich hatten zusammen mit einem Herzspezialisten namens Lester in einem Art-déco-Gebäude am hinteren Ende der Fort Washington Avenue im oberen Upper Manhattan gewohnt. Als ich hier gewohnt hatte, hatte dieser Teil der Stadt als nördlichster Punkt von Washington Heights gegolten. Mir war aufgefallen, dass mehrere Immobilienmakler ihn jetzt Hudson Heights titulierten, als wollten sie ihn – inhaltlich wie preislich – von seinen Wurzeln in der Arbeiterklasse befreien.
    »Okay, ich bin auf der Hudson«, sagte ich.
    »Nehmen Sie die nächste Ausfahrt.«
    »Fort Tryon Park?«
    »Ja.«
    Auch die kannte ich. Fort Tryon schwebt wie eine Wolke hoch über dem Hudson River. Es ist eine ruhige, friedliche, zerklüftete Klippe, mit New Jersey im Westen und Riverdale-Bronx im Osten. Der Park ist ein Mischmasch aus unterschiedlichen Geländeformen  – Fußwegen aus nacktem Stein, Fauna vergangener Epochen, Felsterrassen, Winkeln und Nischen aus Ziegel und Zement, dichten Gebüschen, Geröllfeldern und offenen Rasenflächen. Auf den grünen Wiesen hatte ich, bekleidet mit Shorts und T-Shirt, so manchen Sommertag in Begleitung Zias und ungelesener medizinischer Fachbücher verbracht. Am liebsten waren mir die Sommerabende gewesen, kurz vor Einbruch der Dunkelheit. Der orangefarbene Himmel

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