Keine zweite Chance
jemand zusah, trotzdem öffnete sie den Kofferraum nur so weit, dass sie sich herausrollen konnte. Sie duckte sich, griff noch einmal in den Kofferraum und holte die Halbautomatik und das Nachtsichtgerät heraus. Dann schloss sie den Deckel.
Feldeinsätze waren ihr immer am liebsten gewesen – zumindest die Übungen. Sie war nur an sehr wenigen Missionen beteiligt gewesen, bei denen solche Nacht-und-Nebel-Aktionen erforderlich gewesen waren. Die meisten Überwachungen wurden mit High-Tech-Geräten vorgenommen. Das FBI hatte Überwachungswagen, Spähflugzeuge und ausgefeilte Fiberglasoptik. Also kroch fast nie jemand in schwarzer Kleidung und mit schwarz geschminktem Gesicht durch die Dunkelheit.
Sie kauerte sich so klein wie möglich vor den schwarzen Reifen zusammen. Ein Stück entfernt sah sie Marc die Zufahrt hinaufgehen. Sie steckte die Pistole ins Holster und hängte das Nachtsichtgerät an den Gürtel. Geduckt huschte Rachel über
den Rasen zu einem höher gelegenen Punkt. Es war noch hell genug. Das Nachtsichtgerät brauchte sie noch nicht.
Etwas Mondlicht schimmerte durch die Wolken am Himmel. Sterne waren nicht zu sehen. Vor sich sah sie, dass Marc das Handy ans Ohr hielt. Die Tasche hatte er über die Schulter gehängt. Rachel schaute sich um und sah niemanden. Würde die Übergabe hier stattfinden? Es war kein schlechter Ort, wenn man einen Fluchtweg vorbereitet hatte. Sie begann, die verschiedenen Möglichkeiten abzuwägen.
Fort Tryon war hügelig. Der Trick bestand darin, eine so hoch gelegene Position wie möglich einzunehmen. Sie machte sich auf den Weg hügelaufwärts und wollte sich gerade niederlassen, als Marc den Park verließ.
Scheiße. Sie musste wieder runter.
Im Infanteristenstil kroch Rachel den Hügel hinab. Das Gras kratzte und roch nach Heu, wohl aufgrund der Trockenheit in den letzten Wochen. Sie versuchte, Marc nicht aus den Augen zu verlieren, was allerdings schon geschehen war, als er den Park verlassen hatte. Sie ließ es drauf ankommen und bewegte sich schneller. Als sie am Eingangstor ankam, versteckte sie sich hinter einem Steinpfosten.
Da hatte sie Marc wieder. Aber nicht sehr lange.
Das Handy am Ohr, drehte er sich nach rechts und verschwand die Treppe hinab in Richtung A-Train.
Vor sich sah Rachel einen Mann und eine Frau, die einen Hund spazieren führten. Sie konnten dazugehören – oder einfach nur ein Mann und eine Frau sein, die einen Hund spazieren führten. Marc war nicht wieder aufgetaucht. Keine Zeit für lange Überlegungen. Sie duckte sich hinter die Mauer. Den Rücken dagegen gelehnt, schob sie sich zur Treppe hinüber.
Edgar Portman, fand Tickner, sah aus wie ein Schauspieler in einem Noël-Coward-Stück. Unter dem mit äußerster Sorgfalt zugebundenen roten Morgenrock trug er einen Seidenpyjama. An den Füßen hatte er Samt-Hausschuhe. Sein Bruder Carson hingegen war angemessen zerrupft. Der Pyjama hing schief, die Haare waren zerzaust, die Augen blutunterlaufen.
Keiner der beiden Portmans konnte den Blick von den Fotos abwenden.
»Edgar«, sagte Carson, »lass uns bitte keine voreiligen Schlüsse ziehen.«
»Keine voreiligen …?« Edgar sah Tickner an. »Ich habe ihm Geld gegeben.«
»Ja, Sir«, erwiderte Tickner. »Vor anderthalb Jahren. Das ist uns bekannt.«
»Nein.« Edgar wollte das Wort ungeduldig zischen, doch dazu fehlte ihm die Kraft. »Ich meine kürzlich. Heute, um genau zu sein.«
Tickner richtete sich auf. »Wie viel?«
»Zwei Millionen Dollar. Ich habe eine zweite Lösegeldforderung bekommen.«
»Warum haben Sie uns nicht informiert?«
»Ja, warum wohl nicht?« Edgar stieß eine Art höhnisches Glucksen hervor. »Wo Sie beim letzten Mal doch so hervorragende Arbeit geleistet haben.«
Tickner kribbelte es im Blut. »Wollen Sie damit sagen, Sie haben Ihrem Schwiegersohn weitere zwei Millionen Dollar gegeben?«
»Genau das wollte ich zum Ausdruck bringen.«
Carson Portman starrte immer noch das Foto an. Edgar musterte seinen Bruder und wandte sich wieder an Tickner. »Hat Marc Seidman meine Tochter umgebracht?«
Carson stand auf: »Das glaubst du doch selbst nicht.«
»Dich habe ich nicht gefragt, Carson.«
Jetzt sahen beide Männer Tickner an. Er ließ sich nicht auf das Spielchen ein. »Sie sagten, Sie hätten sich heute mit Ihrem Schwiegersohn getroffen?«
Falls Edgar sich ärgerte, dass seine Frage einfach übergangen wurde, ließ er sich nichts anmerken. »Frühmorgens«, sagte er. »Im Memorial Park.«
»Die Frau
Weitere Kostenlose Bücher