Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kellerwelt

Kellerwelt

Titel: Kellerwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niels Peter Henning
Vom Netzwerk:
wann
schickt der Chef denn Grünschnäbel, die keine Karten lesen können?"
    Der Alte wollte also ein
Frage-und-Antwort-Spielchen daraus machen. Darauf hatte er überhaupt keine
Lust. Er fühlte sich elend. Jeden Augenblick konnte dieser Entsorger hier
auftauchen.
    Doch er nahm noch einmal
Anlauf: „Ich habe keine Ahnung, was sich der Chef dabei gedacht hat. Ich habe
ihm auch gesagt, ich kenne mich nicht aus. Davon wollte er aber nichts hören.
Vielleicht hat er gerade kein anderes Personal."
    Der Alte beugte sich nach
vorne und stützte seine Hände auf die Theke. „Kein Personal? Jetzt wirst du
aber richtig witzig. Seit keine neuen Karten mehr kommen, hat niemand in der
Siedlung noch etwas zu tun. Nur die Müllmänner laufen noch durch die Gegend und
wühlen im Schrott herum, den kein Mensch braucht. Alle anderen sitzen nur
herum. Da wären mehr als genug Leute, die dieser kleine Miesepeter irgendwo hin
schicken könnte. Die können alle Karten lesen. Und abgesehen davon gibt es da draußen
ohnehin nix mehr, was irgendwen interessieren könnte. Also erzähl nicht solchen
Blödsinn. Du gehörst überhaupt nicht hierher. Das seh '
ich doch schon an deinem Frack. Kein Mensch trägt schwarze Klamotten, außer dem
Chef. Du kommst wahrscheinlich von außerhalb. Jetzt willst du schnell weiter
und meinst, du könntest einen alten Kerl wie mich auf den Arm nehmen, um ein
paar Karten abzustauben. Aber so haben wir nicht gewettet. Und jetzt mach, dass
du hier wegkommst. Du hast hier nix verloren, Bubchen ."
    Eine Diskussion mit diesem
alten Arsch brachte offenbar nicht viel. Ihm blieb auch keine Zeit, sich eine
neue Strategie zurechtzulegen. Also musste er zu anderen Mitteln greifen.
    Bevor der Alte auch nur
ansatzweise verstand, was gerade mit ihm geschah, hatte er den Opa am Kragen
gepackt und zur Hälfte über die Theke gezerrt. Einen Moment lang hatte er
gezögert, weil er dem Opa eigentlich nicht wehtun wollte. Als der Alte nun aber
in seinem Griff zappelte, warf er seine Bedenken über Bord. Der Alte hatte ihn „ Bubchen " genannt - alleine dafür hatte der Bursche
einige Schmerzen verdient.
    „ Jetzt pass mal gut auf,
Väterchen", zischte er den Alten an. „Du marschierst jetzt zwischen die
Regale und holst mir die Karten, mit denen ich den Weg zu dieser Kriegszone
finde. Danach erklärst du mir, wie ich die Karten lesen muss. Nur die
wichtigsten Symbole. Ich will nicht wissen, wo ich die nächste Wurstbude oder
das nächste Krematorium finde. Ich will nur wissen, wie ich vorankomme. Ist das
klar?"
    Er ließ den Alten wieder los.
Der Opa schnappte nach hinten wie eine gut gespannte Feder und starrte ihn aus
aufgerissenen Augen durch seine Brille an. Dann trat der Alte einen Schritt
zurück und keifte los: „Ja, bist du denn total verrückt geworden? Meinst du, du
könntest dir alles erlauben? Du kleiner Drecksack, du kriegst hier drin
überhaupt nix! Mach einfach, dass du weg kommst und lass dich hier nicht mehr blicken !"
    Die Tirade ging noch weiter,
doch er hörte bereits nicht mehr zu. Stattdessen zog er in aller Ruhe die SIG-Sauer aus dem Hosenbund und legte auf den Alten an.
Er ließ ihn einen Moment lang in die Mündung der Waffe blicken, dann schwenkte
er die Pistole ein Stück zur Seite und feuerte einen Schuss nur wenige
Fingerbreit am Kopf des Alten vorbei. Noch bevor die leere Patronenhülse auf
den Boden klingelte, hatte er die Waffe bereits wieder auf die Stirn des Opas
gerichtet. Dieser riss seine Augen auf und wich einen Schritt zurück. Dann hob
der Alte kurz beide Hände und ließ sie gleich wieder herabsacken.
    „ Is ja gut", murmelte der Alte, um sich gleich
darauf abzuwenden und zwischen die Regale zu schlurfen. „Ich mach ja
schon."
    „ Aber zackig", rief er
dem Alten hinterher. „Ich habe keine Zeit. Wie du schon sagtest: Ich sollte
eigentlich überhaupt nicht hier sein."
    Falls er glaubte, er habe
den Alten tatsächlich zur Eile antreiben können, so wurde er eines Besseren
belehrt. Der Opa ließ sich ordentlich Zeit. Als sein Geduldsfaden gerade die
Belastungsgrenze erreichte und er bereits mit dem Gedanken spielte, zwischen den
Regalen auf die Suche nach dem Alten zu gehen, um diesem eine ordentliche
Abreibung zu verpassen, hörte er schlurfende Schritte. Der Opa tauchte aus dem
Vorhang aus Staub und Finsternis auf und ließ vier Notizblöcke auf die Theke
plumpsen.
    „ Da. Einmal. Zweimal kommt
gleich."
    Er sah die Notizblöcke an
und blätterte das obere Exemplar kurz auf.

Weitere Kostenlose Bücher