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Kells Rache: Roman (German Edition)

Kells Rache: Roman (German Edition)

Titel: Kells Rache: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Remic
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überwältigend, Kell verschlug es den Atem. Emotionen durchfluteten ihn, Furcht und gleichzeitig eine tiefe Gewissheit, eine Ahnung, dass dies sein letzter Besuch in den Schwarzspitzen war. Er wusste, ebenso sicher, wie die Nacht dem Tag folgte, dass er hier sterben würde. Die Schwarzspitzen würden ihn hierbehalten. Diesmal gab es für Kell keinen Heimweg.
    Die Melancholie traf ihn wie eine Faust. Er half Nienna hoch und zog sie neben sich auf den schmalen Grat. Gemeinsam blickten sie über das Reich von Hunderten von Bergen, das sich bis zum fernen, düsteren Horizont erstreckte. Pulverschnee wehte in Schleiern durch die Luft. Jeder Berggipfel unterschied sich subtil vom anderen. Viele waren dunkelviolett, schwarz oder grau, etliche hatten Schnee auf ihren Flanken und Gipfeln. Aber alle hatten eines gemeinsam: Jeder einzelne Gipfel war eine wilde, zackige Spitze, eine Bedrohung für Leib und Leben. In den Milliarden Tonnen von Gestein, welche die Pässe und Rinnen, Schluchten und steilen Hänge bildeten, steckte kein einziges Gramm Gnade. Das hier war das Schwarzspitz-Massiv. Alles, was sie den Menschen zu bieten hatten, war Leid und Tod.
    Saark tauchte als Nächster auf dem Grat auf. Er keuchte, und seine dunklen Locken glänzten von Schweiß. Mary folgte ihm. Sie mühte sich den letzten Abschnitt hinauf, aber sobald sie sicher auf dem Grat stand, schienen die steilen Abhänge um sie herum sie nicht weiter zu bekümmern. Saark tätschelte ihr Maul und sah Kell an. »Du bewegst dich sehr schnell für einen fetten, alten Mann«, sagte er.
    »Und du kletterst ganz behände für einen weibischen Mistkerl.«
    Saark sah sich um. »Mir gefällt das nicht. Hier gibt es zu viele Orte, an denen man sterben kann!«
    »Es ist wundervoll!«, hauchte Nienna ehrfürchtig.
    »Ja«, knurrte Saark und holte tief Luft. »Genauso schön wie eine Kobra, wie ein Geist. Mädchen, dieser Ort hier ist für Sterbliche nicht geeignet. Die Schwarzspitzen wurden von den Göttern hierhergestellt, um uns von den Granitthronen fernzuhalten!«
    »Die Granitthrone? Was ist das denn?«
    »Pah!«, knurrte Kell finster. »Das ist ein Mythos.«
    »Meiner Erfahrung nach beruhen neun von zehn Mythen auf Tatsachen.«
    Kell zuckte mit den Schultern. »Sei dem, wie es mag. Uns geht das nichts an. Stattdessen sollten wir uns lieber Gedanken machen, wie wir nach Silvatal kommen. Das ist noch ein langer, beschwerlicher Weg, meine Freunde.«
    Myriam kletterte das letzte Stück empor und starrte auf den Hintern des Esels, der ihr den Weg versperrte. Saark schnalzte mit der Zunge, und Mary machte Myriam Platz. Die Augen des Esels loderten, und das Tier hatte die Ohren an seinen dunkelhaarigen Schädel gelegt.
    »Das hier ist kein Ort für einen Esel«, erklärte Myriam bissig und trat auf den Grat.
    »Ich wünschte mir wirklich, dass ihr endlich aufhören würdet, euch über meinen Esel zu beschweren«, stöhnte Saark.
    »Wer hat denn gesagt, dass ich von Mary geredet habe?«
    Sie lachten und sahen sich dann weiter staunend um. Die Welt wirkte viel größer, wie eine gewaltige, ausgedehnte Leinwand. Nienna drehte sich einmal im Kreis herum und nahm diese herrliche Pracht auf, während der Wind heulend peitschte und an ihnen zerrte.
    Kell legte Nienna die Hand auf die Schulter. »Ist es das, was du wolltest, Mädchen?«
    »Was meinst du?«
    »Damals, an dem Tag, als die Eiserne Armee in Jalder einfiel. Du sagtest, du würdest dich langweilen. Du wolltest ein Abenteuer erleben. Nun, jetzt erlebst du ein Abenteuer. Du hast so viele Abenteuer erlebt, dass sie für ein ganzes Leben lang reichen!«
    »So habe ich mir das aber nicht vorgestellt«, gab sie kleinlaut zu. Sie erinnerte sich an die bösen Menschen, auf die sie getroffen war, an die Schmerzen, die sie erlitten, die Freunde, die sie verloren hatte. Und vor allem stellte sie sich Kat vor, das Opfer von Styx’ Witwenmacher, der Uhrwerk-Armbrust. Ihr wurde klar, dass Styx’ Tod sie erleichterte. Er war ein schlechter Mann gewesen und hatte sein Schicksal verdient. »Das ist mir jetzt klar. Nur habe ich das damals nicht begriffen. Es wäre besser gewesen, zuhause zu bleiben, auf die Universität zu gehen und eine Familie zu haben.« Sie holte tief Luft und sah Kell in die Augen, während der Wind ihr dunkles Haar auf ihrem Kopf peitschte. »Aber jetzt bin ich hier, und all diese Dinge widerfahren unserer Welt. Die Eiserne Armee wird nicht aufhören, und auch die Vachine werden nicht aufhören, jedenfalls

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