Keltengrab: Thriller (German Edition)
fernsehen wollen. Statt ihn mühsam hochzuheben, während er sich an diversen Kissen festkrallte, beschloss ich, ins Bett zu gehen. Ich war müde, und der Freitag versprach ein langer Tag zu werden.
Nachdem ich auf dem Bett sitzend die Pizza verdrückt und die Milch getrunken hatte, legte ich mich nieder, machte das Licht aus und versuchte, mir ins Gedächtnis zu rufen, was ich über Moorleichen wusste. Und das war ein Fehler, denn ich sah mich ständig zusammen mit dem Wesen im Graben, wie es sich entrollte und seine fremdartigen Züge offen legte. Nachdem ich mich lange genug hin und her gewälzt hatte, war klar, dass es nichts wurde mit Schlafen, deshalb stand ich auf, zog mir einen Morgenmantel über und schlurfte ins Büro.
In den Regalen fand sich nicht viel von Belang, deshalb versuchte ich es mit dem Internet. Es gab zahlreiche Seiten, die Mumien gewidmet waren, wobei die ägyptischen wie immer dominierten. In der Kategorie Moorleichen gab es einige Statistiken – zweitausend bekannte Funde im ganzen nördlichen Europa, etwa einhundert davon nach der Radiokarbonmethode datiert und so weiter -, und es gab Popularitätslisten, die Hauptattraktionen in einer Art Grand Prix d’Eurovision für Moorleichen: der hübsche Tollund-Mann mit den roten Bartstoppeln für Dänemark; ein modebewusster deutscher Teenager, das Windeby-Mädchen mit seinem halb rasierten Schädel; Großbritanniens Lindow-Mann, der nichts außer einer Armbinde aus Fuchspelz trug; die schrägen Vertreter Hollands, ein kopfloses Männerduo aus Weerdinge. Ich fragte mich, ob Mona später einmal zu diesem exklusiven Club auf den Mumien-Webseiten der Welt gehören würde.
Man nahm an, dass es sich bei vielen Moorfunden um Menschenopfer zur Wintersonnenwende handelte – rituelle Tötungen zu genau der Jahreszeit, in der wir die Leiche in Monashee entdeckt hatten. Im Mageninhalt des Lindow-Mannes fanden sich sogar Pollen von Misteln, die wir mit einem Kuss zur Weihnachtszeit verbinden, die aber die Kelten als heilige Pflanze ansahen, die weder zur Erde noch zum Himmel oder Wasser gehörte. Wie würden sie wohl meinen Mageninhalt interpretieren, falls man mich in zweitausend Jahren fände? Mehl, Käse, Oliven, Tomaten, Artischocke und Anchovis – darüber dürften sie sich eine Weile den Kopf zerbrechen.
Die flapsigen Gedanken vergingen mir, als mir die grausame Erkenntnis dämmerte, dass jeder einzelne dieser Menschen in der Hand anderer Menschen gelitten hatte, und zwar bevor man sie in schwarze Moorlöcher versenkte: manche erwürgt oder totgeprügelt, andere abgeschlachtet, und mindestens einer, der allen drei Gräueln ausgesetzt war. Und während man einige zwar eher für die Opfer einer Todesstrafe als einer rituellen Tötung hielt, legten sie doch alle stummes Zeugnis für ein hartes Leben am Rande der Sümpfe Nordeuropas ab, eines Lebens, das während der langen Winter trostloser denn je gewirkt haben musste.
Aber wonach genau hatte ich eigentlich gesucht im Netz? Ich gähnte und streckte mich und überlegte kurz. Meine ziellose Suche hatte sich im Reich der Populärwissenschaft abgespielt, während ich doch lieber einige der akademischen Sites zu Rate ziehen sollte, die ich abonniert hatte. Ich fing von vorne an.
Horatio bellte im anderen Teil des Hauses. Ich hörte, wie er noch ein paar Sekunden lang knurrte, dann war er wieder still. Wahrscheinlich reagierte er auf einen Hund in der Ferne, den ich nicht hören konnte.
Ohne große Mühe gelangte ich an eine viel versprechende Adresse – eine Liste von Grabbeigaben, darunter menschliche und tierische Überreste, die zusammen mit Leichen aus dem Neolithikum und der Eisenzeit in verschiedenen Teilen Europas bestattet worden waren. Ich ging die verschiedenen Funde durch: Töpfe, Äxte, Lederumhänge, Bernsteinperlen, Tierknochen und Hörner; hier und dort eine ergreifende Erinnerung daran, wie sehr das Schmücken der eigenen Person ein menschlicher Zug ist, egal, wie weit wir in der Zeit zurückgehen: ein wollenes Haarband, eine Netzhaube, ein Kamm. Und dann stieß ich auf eine bizarre Beigabe. Eine junge Frau in Östrup, Dänemark, war zusammen mit dem Skelett eines Schwans gefunden worden. Von diesem Geschöpf glaubten die Kelten, es könne zwischen den Welten der Lebenden und der Toten hin und her wechseln, vielleicht, weil es wie andere Wasservögel einen Grenzbereich zwischen Erde und Wasser bewohnte, eine Zone, in der auch das Moor angesiedelt war.
Horatio bellte wieder. Er war
Weitere Kostenlose Bücher