Keltengrab: Thriller (German Edition)
Minute, die wir bis hierher gebraucht hatten, hatten wir die Stimmen ein-, zweimal gehört, aber nun war es still.
Ich spähte um die Ecke. Der Mond stand genau über den Zinnen des Turms und meißelte ein rechteckiges Muster aus Schatten und Licht in den Platz. Ich dachte, der Platz sei leer, bis ich ein Glitzern im Mondlicht bemerkte – es war der Landrover des Klosters. Er stand zwischen der Kirche und der Gartenmauer.
»Niemand da«, flüsterte ich und bemühte mich, überzeugend zu klingen. »Sie haben ihren Landrover anscheinend hier abgestellt und sind durch den Hintereingang ins Wohngebäude gegangen.«
»Ich weiß verdammt noch mal immer noch nicht, was wir hier eigentlich tun.« Mit zunehmender Nüchternheit wurde Finian ein wenig streitsüchtig.
Ich hatte die Taschenlampe aus dem Handschuhfach mitgenommen. »Ich will dir die Westtür und ein paar von den anderen Steinreliefs zeigen. Ich möchte wissen, was du davon hältst.«
»Ich vereinbare morgen selbst eine Besichtigung mit der Äbtissin – vorzugsweise bei Tageslicht.«
Ich richtete die Taschenlampe auf mein Gesicht, so dass er meine Miene lesen konnte. »Ich meine es ernst, Finian. Ich glaube, man bekommt diesen Ort nur zu sehen, wenn man zufällig hier hereinfährt. Ich glaube, dass ich verarscht wurde, als ich damals zu Besuch war, irgendwie manipuliert.« Ich machte das Licht wieder aus.
Er atmete ein paarmal tief durch die Nase, seine Methode, Stress abzubauen. »Also gut. Dann los.«
Wir gingen durch den Torbogen und hielten uns im Dunkeln, bis wir vor der Westseite der Kirche standen. Die gesamte Fassade war pechschwarz, deshalb schaltete ich die Taschenlampe ein.
Vor Schreck packte ich Finians Arm.
Die Westtür stand weit offen.
Beide Flügel dieses sonst offenbar selten benutzten Eingangs waren geöffnet, und ich sah den runden Strahl meiner Lampe an der Holzdecke im Kircheninnern spielen.
»Scheiße«, flüsterte Finian, »lass uns hier verschwinden.«
Ich hatte die Taschenlampe bereits ausgemacht und war auf dem Rückzug, als ich mich, wie Lots Weib in der Bibel, aus irgendeinem Grund noch einmal umdrehte.
»Schau«, sagte ich und zupfte Finian am Arm.
Wir sahen einen Schein tief im Innern der Kirche. Wahrscheinlich aus der Marienkapelle hinter dem Hauptaltar, wie beim letzten Mal, dachte ich.
»Los, komm«, sagte Finian.
»Warte …« Ich glaubte nicht, dass das Licht in der Kirche eben erst angegangen war. Warum hatten wir es dann nicht gesehen, als wir uns der Kirche näherten? Mir fiel ein, wie das Gelände abfiel, als ich beim letzten Mal zum westlichen Ende zurückgegangen war.
»Ich weiß, wieso«, flüsterte ich.
»Wovon redest du?«
»Der Boden neigt sich. Sie mussten dem Relief des Grundgesteins folgen. Deshalb ist das östliche Ende – die Marienkapelle – nicht zu sehen, bis man nahe am Eingang ist.«
»Sehr interessant. Jetzt setz deinen Arsch in Bewegung.«
»Okay, gehen wir.«
In diesem Moment hörten wir ein Geräusch, das uns erstarren ließ.
Es war Applaus. Als würde ein kleines Publikum jemanden auf der Bühne begrüßen.
Das Klatschen verebbte, und tief in der Kirche begann eine einzelne Stimme zu singen.
»Was zum Teufel geht da drin vor?«, sagte Finian, der ebenso erstaunt war wie ich.
Nun schlossen sich mehrere Stimmen an, in dem kräftigen näselnden Stil englischen Volksgesangs.
Finian packte mich am Arm und zog mich von der Kirche weg. »Das verstehe ich nicht«, sagte er.
Ich verstand es genauso wenig.
Denn die Stimmen waren alle männlich.
40
Wir fuhren in hohem Tempo die Allee entlang; keiner von uns beiden sagte ein Wort, bis wir das Tor passiert hatten und wieder auf der Straße waren.
Finian brach als Erster das Schweigen. »Das war ja höchst sonderbar, mitten in der Nacht in einem Frauenkloster Männer singen zu hören. Was hältst du davon?«
Das Erste, was mir einfiel, war ein jährlicher Fruchtbarkeitsritus. Der Orden erhielt sich selbst, indem er seine eigenen Mitglieder züchtete. Auf diese Weise mussten sie nie Bewerber rekrutieren und konnten im Verborgenen bleiben. Aber was machten sie dann mit dem männlichen Nachwuchs? Den vermittelten sie zur Adoption, über dieselben Kanäle wie die Kinder, die im Entbindungsheim des Ordens zur Welt kamen. Aber nicht alle männlichen Kinder – ein paar behielten sie zu Paarungszwecken. Das Ergebnis wäre Inzucht, was mit Sicherheit zu Missgeburten führt, und aus diesem Grund brauchen sie von Zeit zu Zeit frisches
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