Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kelwitts Stern

Kelwitts Stern

Titel: Kelwitts Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
an seinen Biologieunterricht, während er sich, in einer seltsamen Mischung aus Furcht und Neugier befangen, am Kotflügel seines Wagens entlangschob, auf das Wesen zu, das da klein und unauffällig auf der Straße gestanden hatte und vor dem er mit knapper Not gerade noch hatte bremsen können. Aber auf wie so vieles im Leben hatte ihn seine Schulausbildung auch darauf nicht vorbereitet. Dabei war er in Biologie ganz gut gewesen, hatte gute Noten gehabt, und auch wenn es nicht sein Lieblingsfach gewesen war, erinnerte er sich doch an das kurze Aufflammen des Wunsches, Biologie zu studieren – ein Wunsch, der noch im Kindbett starb, denn damals musste man nehmen, was man kriegen konnte, und ihm war es beschieden gewesen, in die Fabrik für Feuerwerkskörper und Scherzartikel seines Onkels einzutreten und in langen, entbehrungsreichen Jahren das daraus zu machen, was sie heute war. Auch dabei war die Schule übrigens keine große Hilfe gewesen.
    So ein Wesen, dessen war er sich sicher, hatte er noch nie gesehen. Es war etwa eins sechzig hoch, etwa so groß wie Sabrina, die auf der anderen Seite der Motorhaube stand und starrte wie ein hypnotisiertes Kaninchen, und es stand auf zwei Beinen. Es hatte einen spitz zulaufenden Kopf, der von einem Delphin hätte stammen können, keinen erkennbaren Hals, aber dafür eine eigenartige runde Körperöffnung ungefähr da, wo man bei einem Menschen den Kehlkopf gesucht hätte. Winzige Zähne oder dergleichen waren kreisförmig angeordnet, wobei das alles nicht sehr bedrohlich aussah, eher wie ein putziges Spielzeug. Nur, dass dieses Spielzeug unzweifelhaft lebendig war. Der Kopf ging ruckartig hin und her, war also trotz fehlenden Halses offenbar einigermaßen beweglich, und da waren vor allem diese großen schwarzen Augen, die einen ansahen und einem das Herz im Leibe schmelzen ließen …
    »Ist der süß!«, hörte er Sabrina hauchen. Das hatte er sie zum letzten Mal sagen hören, als sie fünf Jahre alt gewesen war und einen Teddybär unter dem Weihnachtsbaum vorgefunden hatte.
    Das Wesen hob die Arme und machte unglaubliche Bewegungen mit den Fingern daran. Nein, das waren keine Finger – das waren schlangengleiche, wurmartig sich schlängelnde, kringelnde Gliedmaßen, deren Anblick einem Gänsehaut über den Rücken jagte. Und es waren nur vier. Vier Finger an jeder Hand.
    Ein Gefühl wie kochendes Wasser wallte in Wolfgang Mattek hoch. Waren sie hier auf irgendein schauerliches Geheimnis gestoßen? Vielleicht gab es hier in der Nähe, irgendwo in diesem Niemandsland, ein streng geheimes gentechnisches Labor, und dieses Wesen, das halb wie ein Mensch und halb wie ein Tier aussah, war von dort geflüchtet. Das hieße, dass sie jetzt Mitwisser geworden waren von etwas, das so unaussprechlich war, dass Mitwisser nicht geduldet werden konnten …
    »Das ist ein Alien!«, erklärte Sabrina da.
    »Wie bitte?«, meinte Mattek verwirrt. »Ein – was?«
    »Ein Alien. Ein Außerirdischer. Jede Wette.«
    Das Wesen trug eine chromglänzende Metallklammer auf der rechten Schulter. Sie sah aus wie das Endstück einer Kette, so was wie eine Fußfessel. »Ein Außerirdischer? Sabrina, bitte … Das ist jetzt nicht der Augenblick, um alberne Witze zu machen.«
    »Oh, Mann, schau ihn dir doch an …!«
    »Nicht in diesem Ton, wenn ich bitten darf. Ich bin dein Vater – nicht ›oh, Mann‹.«
    »Okay, von mir aus.«
    »Gut. Also, was wolltest du sagen?«
    Sabrina hob die Hände und ließ sie kraftlos wieder fallen. »Ach, nichts.«
    Vielleicht war jetzt nicht der geeignete Zeitpunkt, um versäumte Erziehungsmaßnahmen nachzuholen. Mattek richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das fremdartige Wesen, das immer noch einfach dastand und sie beide aus seinen großen schwarzen Augen ansah. Er wünschte, es wäre einfach davongerannt. Verdammt, er hasste es, nicht zu wissen, was zu tun war. Natürlich, sie hätten einfach wieder einsteigen, das Wesen umrunden und weiterfahren können. Aber das wären sie nie wieder losgeworden, dieses Rätsel.
    »Irgendwelche Vorschläge, was wir jetzt tun sollen?«, murmelte Mattek halblaut, hob den Kopf und sah die Straße entlang. Niemand, so weit das Auge reichte. Unglaublich, dass man im Deutschland des Jahres 1999 irgendwo so mutterseelenallein dastehen konnte – und ausgerechnet dann auf einen Außerirdischen oder was immer das war stoßen musste.
    »Wir müssen ihn mitnehmen«, erklärte Sabrina entschieden.
    »Wie bitte? Wir können ihn doch nicht

Weitere Kostenlose Bücher