Kelwitts Stern
…«
»Entschuldige – wer?«
»Jamuuni. Das ist einer unserer großen Lehrer. Er lebte vor vielen Epochen, und er hat unter anderem den Brauch der Sterngabe eingeführt.«
Sabrina nickte. »So jemand wie bei uns, ähm, sagen wir – Konfuzius?«
»Ja. Oder Aristoteles, Lao-Tse, Sokrates, Buddha, Plato …«
»Okay, okay, schon gut!« Sabrina hob abwehrend die Hände. »Ich hab’s schon kapiert. Also dieser Jamuuni, was lehrt der über Träume?«
»Er sagt, dass jeder Geist an einem Punkt mit der Wahrheit verbunden ist. Der Geist bildet Annahmen über die Welt, aufgrund derer wir handeln und entscheiden, und bei der Bildung dieser Annahmen kann er sich irren, sodass wir manchmal falsch handeln und falsch entscheiden. Man kann sich sogar in einem Geflecht von falschen Annahmen verstricken, von denen eine die andere stützt, aber da ein Punkt unseres Geistes mit der Wahrheit verbunden ist, kann man sich niemals vollständig täuschen. Und der Weg, auf dem der Punkt der Wahrheit sich meldet, ist der Traum.«
»Eine Botschaft des Unterbewusstseins. Sagte ich doch.«
»Nein.« Kelwitt schüttelte entschieden den Kopf. »Wenn Träume einfach nur Botschaften des Unterbewusstseins wären, könnte man nichts aus ihnen ablesen, denn das Unterbewusstsein kann sich genauso irren wie das Bewusstsein.«
»Ach so«, nickte Sabrina. Bisher war es meistens so gewesen, dass Kelwitt ziemlich dumme Fragen gestellt hatte und sie ihm die einfachsten Dinge erklären musste. Dass er in Wirklichkeit alles andere als dumm war, vergaß sie dabei manchmal. Diesmal war sie richtiggehend beeindruckt.
»Zu träumen heißt also, sich von der Wahrheit entfernt zu haben. Wer träumt, lebt sein Leben nicht richtig.« Kelwitt sah sie an aus seinen unergründlichen schwarzen Augen. »Verstehst du nun, warum man jemandem keine Träume wünschen soll?«
12
Karl Wilz war Chefredakteur, Anzeigenleiter, Lokalreporter, Inhaber und Herausgeber des »Duffendorfer Tagblatts« in Personalunion. Er war also denkbar kompetent, den Anruf entgegenzunehmen, der ihn am Morgen des 21. Dezember 1999 erreichte.
»Also, habe ich das richtig verstanden?«, wiederholte er nach einigem Zuhören, während sein gewohnheitsmäßig ohnehin breites Grinsen anatomisch geradezu erstaunliche Maße angenommen hatte. »Ein UFO ist durch das Dach Ihrer Scheune gefallen. Ein graues Männchen, das aussah wie ein Delphin auf Beinen, ist ausgestiegen und mit einem unbekannten Mann in einem Mercedes davongefahren.«
»Ja, genau«, sagte der unbekannte Anrufer.
Liz, Sekretärin, stellvertretende Lokalreporterin, Fotografin und einzige Angestellte des »Duffendorfer Tagblatts«, winkte mit der Kaffeekanne. Karl hob die Tasse und nickte auffordernd. »Dann haben Sie das UFO in Ihren Rübenkeller geschafft.«
»Ja, genau.«
»Und wenn ich vierzigtausend Mark zahle, darf ich es sehen.«
»Ja, genau.«
»Verstehe.« Du mich auch, dachte er dabei. »Klingt wie ein gutes Geschäft, was?«
»Oh, das ist es bestimmt«, meinte der Mann im Brustton der Überzeugung. »Sie würden die Geschichte ja, wie sagt man, explosiv … ähm …«
»Exklusiv«, half Wilz aus.
»Ja, genau. Die würden Sie ganz exklusiv kriegen.«
»Schön, schön.« Wilz dachte nach. Einfach den Hörer auf die Gabel zu knallen war eindeutig zu gut für diesen Burschen. Da musste er schon etwas Gehässigeres bringen. »Ich fürchte nur, unsere Zeitungen sind bis Neujahr schon völlig verplant. Mit anderen Worten, wir können diese Geschichte nicht mehr unterbringen. Wirklich schade, aber nicht zu ändern.«
Das verschlug ihm einen Moment die Sprache. Wilz grinste in sich hinein. Mal gespannt, was jetzt kommt.
»Verplant?«, kam es schließlich. »Aber … wie können Sie denn eine Zeitung verplanen? Sie wissen doch gar nicht, was passieren wird!?«
»Na klar doch. Ein Jahrtausend geht zu Ende, ein neues beginnt. Das steht schon ziemlich lange fest.«
»Aber Sie müssen doch noch über was anderes berichten als bloß darüber!«
Er war wirklich fassungslos. Das gefiel Wilz ausnehmend gut. »Nein, schauen Sie«, sagte er in einem Ton, als sei das das Selbstverständlichste von der Welt, »jetzt ist die Zeit der großen Rückblicke. Auf das zwanzigste Jahrhundert zum Beispiel. Wenn Sie das Duffendorfer Tagblatt lesen, dann ist Ihnen sicher aufgefallen, dass wir letzten Freitag mit einer großen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts begonnen haben. Heute zum Beispiel waren die Jahre 1920 bis 1929 dran.
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