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Kennedy-Syndrom - Klausner, U: Kennedy-Syndrom

Kennedy-Syndrom - Klausner, U: Kennedy-Syndrom

Titel: Kennedy-Syndrom - Klausner, U: Kennedy-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
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Lehrmeister, um Längen voraus. Das musste Brannigan wohl oder übel zugeben. Er war abgebrüht, kaltblütig und wusste genau, was er wollte. Und er war unberechenbar, imstande, die Intentionen seiner Widersacher bereits im Voraus zu erahnen. Genau das machte seinen ehemaligen Zögling so gefährlich. Für ihn, Calabrese und die gesamte CIA, die er nach allen Regeln der Kunst vorgeführt hatte.
    Eine Verwünschung auf den Lippen, die er sich wohlweislich verkniff, musterte Brannigan sein Konterfei, das sich im Fenster des S-Bahn-Waggons der Linie 5 spiegelte. Er sah einen vorzeitig gealterten Mann, unrasiert, ausgebrannt und mit tiefen Furchen im Gesicht. Dieser Mann trug ein abgetragenes und im Verhältnis zu seiner untersetzten Statur viel zu großes Jackett, eine ausgefranste Krawatte und ein Hemd, um das ihn niemand beneidete. Das einzig Auffällige, Ungewöhnliche und mitunter sogar Anziehende an Jim Brannigan waren seine Augen, hellblau schimmernd, weit offen und von sanft geschwungenen rötlichen Brauen überwölbt. Die geröteten Wangen zeugten dagegen von regelmäßigem Alkoholkonsum, ein Erbteil seines irischstämmigen Vaters, den er während seiner Kindheit in der New Yorker Bronx nur selten nüchtern erlebt hatte.
    Ganz so schlimm war es bei Brannigan nicht, wenngleich er sich in letzter Zeit immer häufiger einen Glenfiddich einschenkte. Nach Meinung seiner Kollegen, bei denen er als kauzig und verschroben galt, hatte er sich in jüngster Zeit das eine oder andere Glas zu viel genehmigt. Brannigan ließ dies kalt, obwohl er sich so seine Gedanken machte, ob der Job, den er verrichtete, noch das Richtige für ihn war. Seit geraumer Zeit, nicht erst seit dem Schweinebucht-Desaster, hatten sich seine Selbstzweifel und die Vorbehalte gegenüber den Zielen, welche die Firma verfolgte, immer mehr verstärkt. Vielleicht war es besser, grübelte Brannigan, nicht auf zu vielen Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen, erst einmal vor der eigenen Tür zu kehren und dafür zu sorgen, dass auch wirklich alle Amerikaner die gleichen Rechte besaßen. Diesbezüglich gab es weiß Gott genug zu tun, vor allem im Süden, wo man das Gefühl hatte, dass die Tage von Uncle Tom 37 noch lange nicht vorüber waren. Er selbst, fünftes von insgesamt acht Kindern von Sean und Lisa Brannigan, konnte ein Lied davon singen, was es hieß, in ärmlichen Verhältnissen aufzuwachsen und von anderen herumschikaniert zu werden. Daheim in der Bronx galten die Iren nicht viel mehr als die Nachkommen der Sklaven und konnten froh sein, wenn sie für andere die Drecksarbeit machen durften. Der Präsident, auf den Brannigan nichts kommen ließ, bildete da die rühmliche Ausnahme. JFK war mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden, wobei die Gerüchte, Kennedy Senior habe sein Vermögen durch Alkoholschmuggel während der Prohibitionszeit gemacht, einfach nicht totzukriegen waren. Er dagegen war von der High School geflogen, hatte sich mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen und froh sein müssen, wenn sein Alter die paar Kröten, die er nach Hause brachte, nicht am gleichen Tag verjubelte.
    Brannigans Miene verhärtete sich, um auf andere Gedanken zu kommen, wandte er den Blick abrupt ab und ließ ihn durch den nahezu leeren S-Bahn-Waggon wandern. Außer einem Stadtstreicher, ein paar Halbstarken und einer Gruppe amerikanischer GIs, unter ihnen ein Schwarzer, gab es nichts Aufregendes zu begutachten. Brannigans Mundwinkel verzogen sich zu einem höhnischen Grinsen. Im Grunde war es doch ein Unding, ständig gegen die Russen zu wettern und bis in die Fünfziger dabei zuzusehen, wie Schwarzen der Zugang zur High School, Restaurants und dem vorderen Teil öffentlicher Busse verwehrt wurde. Wenn nicht bald etwas geschah, würde es zu Hause jede Menge Ärger geben, weitaus mehr als hier in Berlin.
    Nachdem seine Laune am Tiefpunkt angelangt war, griff Jim Brannigan zu seinem Stock, erhob sich und humpelte zur Tür. Schon wieder sein Knie, ausgerechnet jetzt, wo alles darauf ankam, dass er voll bei der Sache war.
    »Olympiastadion.« Heilfroh, frische Luft schnappen zu können, stieg Brannigan aus und überquerte die Fußgängerbrücke, die zum ehemaligen Reichssportgelände führte. Er konnte sich noch genau an die Olympischen Spiele im Jahre 1936 erinnern, wenn er ehrlich war, hatte er für die Art, wie die Nazis die Sache durchgezogen hatten, im Stillen so etwas wie Bewunderung verspürt. Mit Hitler und Konsorten hatte er natürlich nichts am Hut

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