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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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haßte, zeigte auf der Beerdigung starke Gefühlsregungen. Selbstmord löst ein besonderes Schuldgefühl aus. Alle denken, sie hätten die Katastrophe kommen sehen und das Notwendige tun müssen, um sie zu verhindern.«
    »Hatten Sie keine Vorahnungen dessen, was geschah?«
    »Alle, die ihn kannten, waren geschockt, weigerten sich zu glauben, daß es wahr war.«
    »Ich suche nach Spuren. Etwas, was vielleicht kaum sichtbar ist. Ein Zeichen. Vielleicht würde ich sagen, ein Zeichen Gottes, wenn ich religiös wäre. Einen kleinen Streifen von etwas, das mir die Hoffnung gibt, eine Erklärung zu finden.«
    »Die Götter holen diejenigen, die sie lieben, früh im Leben zu sich. Vielleicht war Henrik einer von ihnen.«
    »Ich bin nicht gläubig. Und Henrik war es auch nicht.«
    »Es ist eine alte Weisheit, kein religiöser Glaubenssatz.«
    »Haben Sie nichts an Ihrem Sohn bemerkt, was seinen Tod ankündigte?«
    »Steves Tod war ganz und gar unerwartet. Und das schlimmste ist, ich glaube, daß er auch für ihn selbst unerwartet war. Nach seinem Tod versuchte ich, soviel wie möglich darüber in Erfahrung zu bringen, warum junge Menschen Selbstmord begehen. Es ist einer von zahlreichen weitverbreiteten Irrtümern, daß die meisten Menschen, die sich das Leben nehmen, eine Erklärung hinterlassen. Meistens gibt es nichts. Nur die vollendete Katastrophe.«
    »Was hat Steve dazu getrieben?«
    »Er war so tief gekränkt, wie ein Mensch überhaupt gekränkt sein kann. Hätte ich es gewußt, hätte ich ihm vielleicht helfen können. Aber niemand wußte etwas. Nicht ich, nicht seine Mutter, nicht seine Freunde.«
    Louise spürte, daß Christian Holloway sich anschickte, über den Tod seines Sohnes Schweigen auszubreiten.
    »Ich hatte gehofft, daß Sie mir helfen könnten.«
    »Ich weiß nicht, wie. Das einzige, dessen man sich im Leben rühmen kann, ist der Wille, den man hat, und die Arbeit, die man tut. Was Aids angeht, ist alles, was wir tun, zu wenig. Es werden nie ausreichende Mittel zur Verfügung stehen, um das Leiden zu vermindern und die Epidemie zu bekämpfen. Als Henrik zu uns kam, war er von dem Willen beseelt, alles zu tun, was er tun konnte. Was ihn in seine tiefe Verzweiflung getrieben hat, darauf weiß ich keine Antwort.«
    Er war nicht verzweifelt. Er zog nicht aus Trauer einen Schlafanzug an, er leerte keine Packung Tabletten. Ich glaube, du sagst nicht alles, was du weißt.
    Sie wendete den Gedanken, vielleicht war es umgekehrt. Daß Christian Holloway nicht mehr wußte als das, was er sagte, aber daß er bei ihr Informationen suchte, in ihren Fragen?
    Man fragt nach dem, was man nicht weiß. Nach dem, was man weiß, fragt man nicht.
    Sie wollte nicht länger bleiben. Christian Holloway mit seinen geheimen Gucklöchern machte ihr angst. Sie stand auf. »Ich will nicht länger stören.« »Es tut mir leid, daß ich keine große Hilfe sein kann.« »Sie haben es auf jeden Fall versucht.«
    Er begleitete sie hinaus in die brennende Sonne zu ihrem Wagen.
    »Fahren Sie vorsichtig. Trinken Sie viel Wasser. Kehren Sie nach Maputo zurück?« »Vielleicht bleibe ich bis morgen.«
    »Das Strandhotel in Xai-Xai ist einfach, aber meistens sauber. Lassen Sie keine Wertgegenstände im Zimmer. Verstecken Sie nichts unter der Matratze.«
    »Ich bin in Maputo schon einmal beraubt worden. Ich nehme mich in acht. Das erste, was ich mir anschaffen mußte, waren Augen im Nacken.« »Sind Sie verletzt worden?« »Ich habe ihnen gegeben, was sie wollten.« »Es ist ein armes Land. Man raubt und stiehlt, um zu überleben. In der Situation der Menschen hier würden wir das gleiche tun.«
    Sie gab ihm die Hand und setzte sich hinters Steuer. Der schwarze Hund blieb im Schatten liegen.
    Im Rückspiegel sah sie, wie Christian Holloway sich umdrehte und zu seinem Haus zurückging.
    Woher kannte sie den Namen Steve? Sie wußte, daß sie irgendwo auf ihn gestoßen war. Aber Steve war ein gewöhnlicher Name, wie Erik in Schweden oder Kostas in Griechenland.
    Sie ging in den Speisesaal hinunter und aß. Der Albino saß an der Wand und spielte auf seinem Xylophon. Sie wurde von demselben Kellner bedient wie am Morgen. Auf ihre Frage antwortete er, das Instrument werde timbila genannt.
    Nach dem Abendessen blieb sie sitzen. Insekten schwärmten um die Lampe über ihrem Tisch. Es waren nur wenige Gäste da, ein paar Männer, die Bier tranken. Eine Frau mit drei Kindern aß unter vollkommenem Schweigen zu Abend. Louise schob die Kaffeetasse zur

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