Kennedys Hirn
ihrem Bett liegen.« »Jetzt bist du ungerecht.«
»Ich weiß, daß ich ungerecht bin. Aber so fühle ich.« »Wir müssen wohl trotzdem abwarten.«
Louise wußte, daß er recht hatte. Die Wahrheit über das, was geschehen war, was Henriks Tod verursacht hatte, würde nie ans Licht kommen, wenn sie der gerichtsmedizinischen Untersuchung nicht vertrauten.
Louise war müde. Als sie aufstehen wollte, um ins Bett zu gehen, hielt Artur sie zurück. »Ich habe noch einmal versucht, Aron ausfindig zu machen.«
»Hast du ihn gefunden?«
»Nein. Aber auf jeden Fall habe ich es versucht. Ich habe noch einmal Kontakt zur Botschaft in Canberra aufgenommen und mit weiteren Personen im Freundesverein gesprochen. Aber von einem Aron Cantor hat nie jemand etwas gehört. Bist du sicher, daß er in Australien lebt?«
»Bei Aron kann man nie sicher sein.«
»Es wäre ungut, wenn er nicht erführe, was geschehen ist, und nicht an der Beerdigung teilnehmen könnte.«
»Vielleicht will er gar nicht dabeisein? Vielleicht will er überhaupt nicht, daß wir ihn finden?«
»Niemand wird wohl der Beerdigung seines eigenen Kinds fernbleiben wollen.«
»Du kennst Aron nicht.«
»Damit kannst du recht haben. Du hast mich ihn ja kaum treffen lassen.«
»Was willst du damit sagen?«
»Du mußt gar nicht aufbrausen. Du weißt, daß es stimmt.«
»Es stimmt ganz und gar nicht. Ich habe mich nie zwischen dich und Aron gestellt.«
»Es ist jetzt zu spät für diese Diskussion.«
»Es ist keine Diskussion. Es ist ein sinnloses Gespräch. Ich danke dir, daß du dir die Mühe gemacht hast. Aber Aron wird nicht an der Beerdigung teilnehmen.«
»Ich finde trotzdem, wir sollten noch etwas weitersuchen.«
Louise antwortete nicht. Und Artur erwähnte Aron nicht mehr.
Aron war nicht dabei, als sein Sohn Henrik Cantor zwei Wochen später auf dem Friedhof von Sveg beigesetzt wurde. Als die Todesanzeige erschienen war, hatten viele sich bei Nazrin gemeldet, die Louise über die schweren Wochen hinweghalf. Viele von Henriks Freunden - von den meisten hatte Louise nie etwas gehört - wären gern zur Beerdigung gekommen. Aber Härjedalen war zu weit weg. Nazrin hatte vorgeschlagen, nach der Beerdigung eine Gedenkfeier in Stockholm abzuhalten. Louise sah ein, daß sie um ihrer Suche nach einer Erklärung willen Henriks Freunde treffen sollte. Doch sie hatte nicht die Kraft, mehr zu organisieren als die Beerdigung. Sie bat Nazrin, die Namen all derer festzuhalten, die von sich hören ließen.
Die Beerdigung fand am Mittwoch, dem 20. Oktober, um ein Uhr statt. Nazrin war am Tag zuvor zusammen mit einem anderen Mädchen gekommen; sie hieß Vera und hatte offenbar, wenn Louise es nun richtig durchschaute, ebenfalls ein Verhältnis mit Henrik gehabt. Sie würden nur wenige Menschen bei der Beerdigung sein. Es war wie ein riesiger Verrat an Henrik und all den Menschen, die er in seinem Leben getroffen hatte. Aber es ging nun einmal nicht anders.
Louise und Artur hatten einen heftigen Streit darüber gehabt, wer die Beerdigungsfeier halten sollte. Louise war der festen Meinung, Henrik hätte keinen Pastor haben wollen. Doch Artur fand im Gegenteil, daß Henrik sich sehr für geistliche Fragen interessiert habe. Wer in Sveg konnte eine würdige Zeremonie anbieten? Pastor Nyblom predigte Gottes Wort nicht mit übertriebenem Eifer, er begnügte sich häufig mit seiner eigenen alltäglichen Ausdrucksweise. Ihm konnte man nahelegen, Gott und das Heilige aus der Begräbnisfeier herauszuhalten.
Louise gab nach. Sie war zu schwach für eine Auseinandersetzung. Sie wurde von Tag zu Tag kraftloser.
Am Dienstag, dem 19. Oktober, rief Göran Vrede an. Er teilte mit, die pathologische Untersuchung habe ergeben, daß die Todesursache in einer starken Überdosis von Schlaftabletten zu sehen sei. Er entschuldigte sich erneut dafür, daß es so unverhältnismäßig lange gedauert habe. Louise lauschte seinen Worten wie in einem dichten Nebel. Sie wußte, daß er ihr diese Mitteilung nie machen würde, wenn sie nicht absolut sicher wäre, eine unumstößliche Wahrheit. Er versprach, Louise sämtliche Unterlagen zuzusenden, versicherte sie noch einmal seiner Anteilnahme und erklärte dann, daß die Ermittlung damit abgeschlossen sei. Die Polizei habe nichts mehr hinzuzufügen, der Staatsanwalt werde mit dem Fall nicht befaßt, weil es sich um Selbstmord handelte.
Als Louise Artur davon erzählte, sagte er: »Dann wissen wir immerhin so viel, daß wir nicht weiter zu
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