Kennen Wir Uns Nicht?
leicht über die Lippen. »Es war einfach ein schwieriger Tag. Könntest du mir vielleicht ein Glas Wein holen?«
Ich sehe Jon gar nicht an.
»Kein Problem, Liebste.« Eric verschwindet wieder im Haus, und abrupt drehe ich mich zu Jon um.
»Erklär mir, wovon du redest«, sage ich leise. »Schnell. Und ich hoffe, du erzählt mir keinen Scheiß.«
Als ich ihm in die Augen sehe, spüre ich, wie gedemütigt ich mich eigentlich fühle. Ich weiß nicht, ob ich ihm trauen kann.
Aber ich muss mehr hören. Denn wenn nur eine einprozentige Chance besteht, dass er die Wahrheit sagt...
»Ich erzähl dir keinen Scheiß. Wenn mir klar gewesen wäre, dass du gar nichts mehr davon weißt ...« Ungläubig schüttelt Jon den Kopf. »Wochenlang hast du daran gearbeitet. Du hattest immer deinen großen, blauen Aktenordner bei dir. Du warst so aufgeregt, dass du kaum schlafen konntest...«
»Aber was war es!«
»Die genauen Einzelheiten kenne ich nicht. Du warst zu abergläubisch, es mir zu erzählen. Du meintest, ich bin ein Pechvogel.« Er verzieht kurz den Mund, als würde er mir eine lustige Intimität anvertrauen. »Ich weiß aber, dass es mit Retro-Teppichen aus einem alten Musterbuch zu tun hatte. Und ich weiß, dass es eine Riesensache werden sollte.«
»Aber wieso weiß ich nichts davon? Wieso weiß niemand ‘was davon?«
»Du wolltest es bis zum letzten Augenblick geheim halten. Du hast gesagt, du traust niemandem im Büro, und es sei sicherer, lieber nicht...«, er wird lauter, »... Hey, Eric! Wie sieht‘s aus?«
Mir ist, als hätte man mich geohrfeigt. Er kann doch jetzt nicht einfach aufhören!
»Hier hast du was zu trinken, Lexi!«, sagt Eric gut gelaunt und reicht mir ein Glas Wein. Dann tritt er an den Tisch und winkt Jon, sich zu ihm zu setzen. »Also, ich habe noch mal mit dem zuständigen Menschen beim Bauamt gesprochen ...«
Ich rühre mich nicht von der Stelle, während sich die beiden unterhalten. Meine Gedanken rasen, ziellos vor Ungewissheit. Es könnte alles Quatsch sein. Vielleicht bin ich eine gutgläubige Idiotin, der man alles erzählen kann.
Aber woher sollte er von dem alten Musterbuch wissen? Was ist, wenn es stimmt? Mein Herz schlägt plötzlich höher. Wenn es noch eine Chance gäbe, und sei sie noch so winzig ...
»Alles in Ordnung, Lexi?« Eric wirft mir einen schrägen Blick zu, und ich merke, dass ich stocksteif mitten auf der Terrasse stehe und meinen Kopf mit beiden Händen halte.
»Alles in Ordnung.« Irgendwie sammle ich mich. Ich ziehe mich auf die andere Seite der Terrasse zurück und setze mich auf eine Hollywood-Schaukel, spüre die heiße Sonne im Gesicht, nehme das ferne Brummen des Verkehrs dort unter mir kaum wahr. Drüben am Tisch betrachten Jon und Eric einen Bauplan.
»Es könnte sein, dass wir das Parken völlig neu überdenken müssen.« Jon skizziert etwas auf dem Papier. »Davon geht die Welt nicht unter.«
»Okay.« Eric seufzt schwer. »Ich verlasse mich ganz auf dich, Jon.«
Ich nehme einen großen Schluck Wein, dann nehme ich mein Handy. Ich kann nicht glauben, was ich da tue. Mit zitternden Händen suche ich Jons Nummer und tippe einen Text:
Können wir uns treffen? L
Ich drücke »Senden«, dann lasse ich das Handy schnell wieder in meiner Handtasche verschwinden und blicke über die Stadt hinaus.
Bald darauf holt Jon, während er noch immer zeichnet und ohne ein einziges Mal zu mir herüberzusehen, sein Handy aus der Hosentasche. Er wirft einen kurzen Blick darauf und gibt eine Antwort ein. Eric scheint es gar nicht wahrzunehmen.
Ich zwinge mich, bis fünfzig zu zählen, dann klappe ich lässig mein Handy auf.
Klar. J
SIEBZEHN
Wir haben uns in einem Cafe namens Fabians in Holland Park verabredet, einem gemütlichen, kleinen Laden mit terracottafarbenen Wänden, Toscana-Bildern und Regalen voll italienischer Bücher. Als ich eintrete und den granitenen Tresen, die Kaffeemaschine, das durchgesessene Sofa sehe, habe ich so ein komisches Gefühl, als wäre ich schon mal dort gewesen.
Vielleicht habe ich ein Deja-vu. Vielleicht ist es nur Wunschdenken.
Jon sitzt bereits an einem Tisch in der Ecke, und als er aufblickt, merke ich, wie ich wachsam werde. Trotz des mulmigen Gefühls, nach all den Protesten, treffe ich mich nun doch heimlich mit ihm. Genau wie er es die ganze Zeit schon wollte. Mir ist, als würde ich in eine Falle tappen ... nur weiß ich gar nicht, was die Falle ist.
Egal. Ich treffe mich aus rein geschäftlichen Gründen mit ihm.
Weitere Kostenlose Bücher